Ein unerwartetes Gespräch zwischen zwei Kollegen verändert vieles
Es war spät geworden in dem großen Bürogebäude, und die meisten Lampen waren bereits erloschen. Nur der sanfte Schein der Notbeleuchtung schimmerte durch die Flure, und draußen war der Herbst bereits im vollen Gange. Sanfte Regenschauer klopften an die Fensterscheiben, begleiteten den stillen Frieden der einsamen Stunden.
Anna rieb sich die Augen, während sie ihren Blick von den endlosen Excel-Tabellen löste, die auf ihrem Bildschirm flimmerten. Seit Stunden schon versuchte sie, die Zahlenreihe zu korrigieren, hautnah verfolgt vom leichten Summen der Lüftung. Es half nichts. Ihre Gedanken schweiften ab, weg von den Tabellen und in eine träge, gedankenverhangene Müdigkeit.
Mit einem Seufzer erhob sie sich und streckte sich, als sie den vertrauten Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee wahrnahm. Sie folgte ihm leise, ihre Schritte federnd auf dem dämpfenden Teppich, der die Geräusche verschluckte.
In der kleinen Büroküche, die nur vom schwachen Licht der Deckenlampe erhellt wurde, stand Jonas, der Kollege aus dem Marketing. Sein Blick war auf die Kaffeemaschine gerichtet, als ob er von ihrer Funktionsweise fasziniert wäre. Die Schließzeit der U-Bahn gestern hatte seine Heimreise verzögert.
“Auch noch hier?”, fragte Anna mit einem schüchternen Lächeln.
Jonas drehte sich zu ihr um, überrascht, aber erfreut, nicht mehr allein zu sein. “Ja, ich schulde Herrn Becker den Bericht für den Vorstand. Und du?”
Sie zuckte mit den Schultern. “Zahlenchaos. Ich dachte, den Kaffee könnten wir teilen.”
Er nickte und reichte ihr eine Tasse. “Bitte, Ladies first.”
Die Wärme der Tasse durchdrang ihre kalten Finger. “Danke, Jonas. Wie lange sitzt du schon daran?”
“Zu lange”, antwortete er lachend, und seine Stimme hallte leicht in den Korridoren der späten Stunde wider. “Aber vielleicht liegt es auch am unterschwelligen Drang, die Nacht hereinzulassen, die ruhige gestohlene Zeit zwischen den Jahren.”
Sie setzten sich an den kleinen Tisch, auf dem ein verlassener Blumenstrauß den Anschein erweckt, als sei die Natur selbst im Büro eingebrochen, um ihre Fürsorge zurückzufordern, und redeten. Anfangs über Belangloses: den allgegenwärtigen Druck im Büro, die neuesten Gerüchte über Herrn Becker, den strengen Chef.
Die Minuten tickten verhalten im Hintergrund, während sie tiefer in Gespräche sanken, die zunehmend persönlicher wurden. Anna erzählte von ihrem geplanten Urlaub, den sie sehnlichst herbeiwünschte, wenn auch nur bis zur kleinen Ferienwohnung ihrer Großmutter an der Ostsee. Jonas wiederum sprach von seinen ungelösten Träumen, ein eigenes Café zu eröffnen, irgendwann.
“Manchmal glaube ich”, sagte Jonas mit einem nachdenklichen Ausdruck, “dass die besten Ideen bei einem Mitternachtskaffee geboren werden.”
Anna lächelte still. “Vielleicht sind diese stillen Nächte viel bedeutender, als wir ihnen zutrauen.”
Die Luft wurde schwerer, behaftet mit einem Gefühl von Vertrautheit, während beide bemerkten, dass die Distanz, die während der normalen Bürozeiten zwischen ihnen geblieben war, plötzlich stark zu schwinden begann. Es gab Augenblicke, in denen Worte die Wahrheit besser transportierten als Taten, und diese Nacht schien erfüllt von diesen Momenten.
“Anna,” begann Jonas zögerlich und brach den Satz unvollendet ab. Vielleicht ahnte er, dass die Worte überflüssig sind und diese unausgesprochene Verbindung zwischen ihnen bereits viel tiefer war.
Der Regen schlug weiterhin gegen die Fenster, ein leises Trommeln, das als Hintergrundmusik für das stille Einvernehmen diente, das sie unbewusst eingegangen waren.
Schließlich, als der Kaffee beinahe vergessen war und die Müdigkeit wie ein bleierner Schleier über sie kam, erhoben sie sich langsam von ihrem Platz.
“Wir sollten wohl nach Hause gehen”, meinte Anna leise, beinahe unwillig, diesen Moment zu beenden.
Jonas nickte, aber in seinen Augen lag ein Versprechen, das mehr war als nur ein Abschied für heute Nacht.
Sie gingen zusammen zu den Fahrstühlen, ihre Schritte im Einklang, und nur die Notbeleuchtung begleitete ihren stummen Weg zur Tür.
“Bis morgen, Anna,” flüsterte Jonas, bevor sie in die Dunkelheit der Nacht hinaustraten.
“Bis morgen, Jonas”, erwiderte Anna, ein Lächeln in ihrer Stimme, das im Dunkel der Nacht hell und klar leuchtete.
Die Nachtluft war frisch und belebend, der Regen hatte aufgehört, und nur die feuchte Kühle umarmte sie sanft. Und irgendwie, trotz der vermaledeiten Zahlen und verstreuten Träume, war etwas anders geworden, in dieser einfachen Mitternachtsbegegnung im Schatten des Bürolebens. Gemeinsam gingen sie die Straße hinunter, das Büro hinter sich lassend, die Möglichkeit eines neuen Morgens bereits am Horizont.




