Ein Wanderer folgt einem geheimnisvollen Licht
Vorlesezeit: ca. 20 Minuten
Der dichte Nebel legte sich wie eine schwere Decke über den Wald. Die Bäume, deren Umrisse sich nur schemenhaft abzeichneten, standen wie stumme Wächter im Zwielicht der Dämmerung. Zwischen ihnen lag eine Stille, die nur vom entfernten Rufen eines Kauzes und dem Rascheln des Laubs unter den Füßen des Wanderers durchbrochen wurde.
Er hatte den Pfad längst verloren. Was als ein einfacher Spaziergang begonnen hatte, war zu einer Odyssee durch den dichten Nebel geworden. Kalte Feuchtigkeit legte sich auf seine Haut und durchdrang seine Kleidung. Trotz des untröstlichen Wetters hielt ihn etwas im Wald, ein Gefühl des Unvollendeten, der Suche nach etwas, das ihm selbst noch unklar war.
Der Wanderer hielt inne, um einen Moment lang durchzuatmen. Er sammelte seine Gedanken und, während er sich umsah, bemerkte er etwas Seltsames – ein sanftes, flackerndes Licht, das durch die Bäume tanzte. Es war weder der Schein einer Lampe noch das Glühen eines Lagerfeuers. Der Nebel schien es zu umhüllen, runterzudrücken und gleichzeitig zu verstärken.
Er fühlte sich von dem Licht angezogen, fast wie von einer unsichtbaren Hand geführt. Ohne bewusst darüber nachzudenken, setzte er einen Fuß vor den anderen, ließ sich von dem Schimmer leiten, der durch das Dickicht flirrte.
Warum folge ich nur? Was, wenn es mich in die Irre führt? Der Gedanke warf einen kurzen Schatten des Zweifels in sein Gemüt, aber gleichzeitig verspürte er eine unerklärliche Hoffnung, als ob dieses Licht das Ende seiner Rastlosigkeit bedeuten könnte.
Stunden schienen zu vergehen, während er dem Licht nachjagte. Er bemerkte gar nicht, wie die Dunkelheit sachte, fast unbemerkt, die Dämmerung verdrängte. Die Umgebung war nun fast vollständig in Schwarz getaucht, nur das Licht strahlte heller denn je.
Schließlich trat er auf eine kleine Lichtung, von deren Mitte das Licht ausging. Es war ein Lichtwesen, kaum greifbar, doch voller Präsenz. Es strahlte Wärme aus, und eine sanfte Melodie umwehte den Wanderer.
„Wer bist du?“, brachte er hervor, seine Worte kaum mehr als ein Flüstern.
Das Wesen schien ihn zu verstehen, trotz der Stille, die zwischen ihnen schwebte. In der Dunkelheit formten sich Bilder, Erinnerungen, die nicht seine eigenen schienen, Szenen von vergangenen Zeiten und vergessenen Welten. Das Lichtwesen öffnete vor ihm ein Fenster in die Unendlichkeit von Raum und Zeit.
Der Wanderer verstand plötzlich, dass er nicht zufällig hier war. Irgendetwas in ihm, eine Sehnsucht, hatte ihn zu diesem Ort geführt, zu einem Licht, das mehr war als nur eine beleuchtete Lichtung im Wald.
„Bist du gekommen, um anzukommen, oder um weiterzugehen?“, die Stimme des Wesens war hintergründig, tief, als würde sie aus einem Brunnen alter Erinnerungen aufsteigen.
Er atmete tief ein. „Beides, denke ich“, antwortete er schließlich, die Antwort klarer, als er es erwartet hatte. Der Nebel um sie herum begann sich zu lichten, und der Wald nahm neue Gestalt an. Farben drangen durch das Grau und umspielten die Szenerie mit neuem Leben.
„Was könnte ich finden?“ fragte der Wanderer leise.
Das Wesen antwortete nicht direkt. Stattdessen blitzte ein Bild auf — ein Pfad, klar und einladend, der sich durch die Bäume schlängelte. Sein Herz schlug schneller, als er die Sicht verinnerlichte. Es war kein konkreter Weg, den er sah, sondern die Möglichkeit von Wegen, die in ihm selbst lag.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, drehte sich der Wanderer langsam um und nahm den Weg zurück in den Wald. Diesmal war die Dunkelheit nicht bedrückend; sie war vielmehr ein Mantel, der ihn umhüllte, während er die ersten Schritte auf diesem neuen, unsichtbaren Pfad tat.
Er würde weitergehen. Das geheimnisvolle Licht war ein Kompass gewesen, das ihn dazu brachte, in sich selbst das zu entdecken, wonach er so lange gesucht hatte.
Der Nebel war fort, die Nacht klar, und trotz der Dunkelheit fand der Wanderer seinen Weg nach Hause, in dem Wissen, dass es nur der Beginn einer neuen Reise war.




