Ein verlassener Tisch. Eine neue Liebe.
Vorlesezeit: ca. 20 Minuten
Der Regen fiel in sanften, gleichmäßigen Bahnen gegen die Scheiben des kleinen, gemütlichen Cafés in der Stadt. Die Straßen wirkten beinahe menschenleer, nur gelegentlich huschte eine Gestalt unter einem Regenschirm vorbei und suchte eilig nach Schutz, bevor der nächste Schauer losbrach. Drinnen hingen sanfte Klänge von Jazzmusik wie ein wärmender Schleier in der Luft. Am Fenster, halb verborgen hinter dichten Vorhängen, saß Sophie allein an einem Tisch.
Es war einer dieser typischen Herbstnachmittage, an denen die Antenne für Melancholie besonders empfindlich zu sein schien. Sophie rührte in ihrer Tasse Tee, beobachtete die kleinen Wirbel, die ihr Löffel im dunklen Getränk erzeugte, während ihre Gedanken zu den Dingen schweiften, die sie lieber nicht wieder aufrollen wollte. Doch der Herbst mit seinem unnachgiebigen Regen schien all das toppen zu wollen, was sie im Alltag verdrängte.
Ein leises Klingeln ertönte, als die Tür sich öffnete und ein Mann ins Café kam. Er war groß, mit dunklen, leicht welligen Haaren und einer schicken, aber praktischen Herbstkleidung, die von der Feuchtigkeit glänzte. David, so hatte er vor kurzem erst erfahren, dass man ihn ansprach, wenn man in dieser Stadt lebte, suchte nach einem Platz. Das Café war fast voll, die Sitzgelegenheiten begrenzt, bis auf den einen freien Sitz an Sophies Tisch.
Es dauerte einen Moment, bis er ihr Nicken bemerkte, das ihm anbot, sich zu setzen. Dankbar und mit einem freundlichen Lächeln ließ er sich nieder. “Es ist nicht der beste Tag, um draußen zu sein, nicht wahr?” eröffnete David das Gespräch, um die Stille zwischen ihnen zu füllen. Sophie stimmte zu, ihre Worte von einem sanften Lächeln begleitet.
Das Café war ihr Rückzugsort, ein Platz, der sich stets gleich anfühlte, selbst wenn sich die Stadt um sie herum veränderte. Fügte nun das Gegenüber eine unerwartete, lebendige Note hinzu, die sich nicht gleichmäßig in die Routine fügen wollte. “Kommst du oft hierher?” fragte David, indem er in seine noch dampfende Tasse blies.
“Jeden Donnerstag, wenn ich mich an meinen freien Nachmittag wenden kann”, antwortete Sophie. “Es hat etwas Beruhigendes, gerade an solchen Tagen wie heute, wo man die Welt ein wenig draußen lassen kann.”
David nickte und zeigte mit einer zurückhaltenden Geste auf seine Jacke. “Nun, ehrlich gesagt, bin ich nur hier, um dem Regen zu entkommen. Aber der Kuchen sah verlockend aus… und ich hatte gehofft, ein wenig in Ruhe arbeiten zu können.”
Der Nachmittag zog sich hin, während sie in ein Gespräch versanken, zuerst harmlos und oberflächlich, bis sie merkten, dass sie beide einiges teilten. Geschichten, die keiner erwartete, erzählten von Lebensträumen und verlorenem Glück, von Rückschlägen und kleinen Siegen. Die Stunden verstrichen, die Schwüle des abgeklungenen Regens wich einer feinen Herbstbrise. Die Flure des Cafés leerten sich allmählich, aber Sophie und David saßen weiter, still den Moment genießend, der aus Zufall zur gemeinsamen, unaufdringlichen Gewohnheit gewachsen war.
Als sie schließlich merkten, dass das Personal begann, die seltsamen Abenden des Tagesgeschäfts zu bereinigen, verließen sie das Café, Seite an Seite, die Straße leicht im Schein der funkelnden Straßenlaternen glitzernd. Sie hörten kein Wort; eine stille Vereinbarung, die zaghafte Zuneigung nicht durch eine allzu europäische Theatralik zu beeinträchtigen.
Dieses Mal, als der Regen erneut setzte, bemerkten sie ihn kaum. Sie liefen gemeinsam weit über die nassen Gehwege hinaus, der Weg führte abseits der drängenden Abendmengen. David hob seinen Kragen, während Sophies Schal in den kleinen Windböen flatterte. Ihre Gespräche verliefen ohne Anstrengung, als kämen sie tatsächlich aus derselben Welt, die sie bis heute Morgen unbekannt war.
Wer hätte gedacht, was sich durch Zufall entwickelte?
Als sie sich schließlich verabschiedeten, war es, als hätten sie sich schon lange gekannt, so nah fühlte sich der neu gefundene Rhythmus ihrer Worte und Gesten an. Eine stille Sehnsucht im Herzen, die keiner zu benennen wagte. Sie tauschten Nummern aus, zwar mit dem frostigen Hauch von Abendnebel in der Luft, doch die Wärme hatte ihren Platz gefunden.
Sophie senkte den Blick, als sie sich umdrehte, ihr Herz leicht und friedvoll. David ging wenige Schritte weiter und blieb stehen, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. “Wir sehen uns dann nächsten Donnerstag?” rief er, ein leiser Hauch von Hoffnung in seiner Stimme.
“Es wäre mein Vergnügen.” Ein Lächeln, eingefangen von den Lichtern der Nacht, begleitete ihre Schritte in die Richtung ihres Zuhauses. Nichts blieb mehr als die Erinnerungen an einen regnerischen Herbstnachmittag, der nicht nur das Café mit Wärme gefüllt hatte. Und als Sophie in die Dunkelheit eintauchte, blieb der verlassene Tisch im Café zurück, bereit für die nächste Geschichte, die seine Ecken umarmen würde.




