Der Mord im verlassenen Hotel
Vorlesezeit: ca. 13 Minuten
Der Schneesturm rüttelte an den Fensterläden des abgelegenen Berghotels, während die Dunkelheit schwer auf den Alpengipfeln lastete. Kommissar Brandt zog seinen Mantel fester um sich, als er den Empfang betrat. Der Raum war schwach erleuchtet, die Schatten der an der Decke baumelnden Lampen tanzten gespenstisch. Hinter dem Tresen begrüßte ihn Viktor, der Rezeptionist, mit einem nervösen Nicken.
"Ich nehme an, Sie sind wegen des… Vorfalls hier", sagte Viktor, seine Stimme zitterte leicht.
"Ja, ich muss mit allen reden, die gestern im Hotel waren", erwiderte Brandt, während er seine Handschuhe auszog. "Hat jemand etwas Ungewöhnliches bemerkt?"
Viktor schüttelte den Kopf. "Es war wie immer ruhig. Bis… na ja, Sie wissen schon."
Brandt nickte und wandte sich ab, als die Pathologin Lisa aus einem der Seitengänge trat. Ihr Gesicht war streng und konzentriert. "Der Körper ist drüben im Salon", informierte sie ihn. "Es sieht nach einem Kampf aus, aber ich brauche mehr Licht, um Genaueres sagen zu können."
Er folgte ihr in den Salon, wo das schwache Licht einer einzelnen Taschenlampe über die Szenerie tanzte. Der Raum war chaotisch, die Möbel verschoben, ein Sessel umgekippt. Auf dem Boden lag das leblos wirkende Körper einer Frau, mit blutverkrusteten Haaren.
"Zuerst dachte ich, es sei ein Unfall", erklärte Lisa, als sie sich zu Brandt herunterbeugte. "Aber die Wunden deuten auf etwas anderes hin. Es sieht aus, als ob sie mit einem stumpfen Gegenstand getroffen wurde. Mehrmals."
Brandt runzelte die Stirn. "Was hat eine Person allein im Salon gemacht, bei diesem Wetter?", dachte er laut nach.
"Das Wetter hat uns hier eingeschneit. Wir sind vorerst auf uns allein gestellt", antwortete Lisa. Das Knirschen ihrer Schritte hallte einsam im riesigen Raum.
Kommissar Brandt verbrachte den Rest des Abends damit, mit den wenigen Gästen und Angestellten des Hotels zu sprechen. Jeder schien entweder zu verschrecken oder verärgert über die Störung zu sein, aber niemand konnte wertvolle Informationen oder Alibis bieten.
"Niemand hier kennt die Wahrheit", dachte Brandt, als er zu Lisa zurückkehrte. "Oder jemand lügt."
Das Rauschen des Windes drang durch die Ritzen der Fenster, als die Nacht weiter fortschritt. Brandt und Lisa setzten sich in die kleine Bibliothek, die das Hotel noch gemütlicher machte als alle anderen Räume. Lisa bot ihm eine Tasse dampfenden Tee an, während sie die Akte der Verstorbenen durchsah.
"Ihr Name war Elvira. Sie war als Gast hier gemeldet, aber ihre Anmeldedaten sehen gefälscht aus", murmelte Lisa und schob ihm das Papier über den Tisch. "Warum sollte jemand hierherkommen und diese Isolation suchen, um dann getötet zu werden? Wann hat sie sich fremd angefühlt?"
Brandt ließ den Blick durch den Raum schweifen. "Vielleicht war sie auf der Flucht vor etwas oder jemandem?"
Lisa nickte nachdenklich. "Du meinst, der Mörder könnte möglicherweise hier sein. Eingeschneit wie wir alle."
Die Stunden vergingen im Schneckentempo. Die Nacht erschien endlos. Immer wieder streifte Brandt fragend durch die Räume, darauf achtend, die nervösen Blicke und Anzeichen von Vorspiegelungen oder Schuld zu dechiffrieren.
Am Morgen hatte der Schneefall endlich nachgelassen. Die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich durchs Dickicht der Wolken und tauchten die schneebedeckten Gipfel in ein silbriges Licht, das beinahe surreal wirkte. Im diffusen Morgenlicht versammelten sich die Hotelgäste widerwillig im Salon, die durch die Polizeiarbeit hervorgerufene Unruhe im Blick.
Brandt versuchte, sich auf die Worte zu konzentrieren, doch ein vages Gefühl, beinah wie ein unvollendeter Akkord, hielt ihn gefangen. Plötzlich fiel ihm etwas ein, und er drehte sich unvermittelt zu Viktor um. "Sie haben gestern gesagt, es sei ruhig gewesen, wie immer. Was genau meinen Sie mit wie immer?"
Viktors Gesicht zuckte unmerklich. "Ich… es war nichts Außergewöhnliches. Ich wollte sagen, alles war normal."
Brandt warf Lisa einen Blick zu, die unmerklich nickte. "Bevor wir weiterreden: Ich möchte, dass alle den Reistrocknerraum durchsuchen. Wenn hier jemand noch den kleinen Gefälligkeitsspeicher hat, wird das hilfreich sein;', murmelt er leise.
Gemeinsam betraten sie den jungen, kühlen Keller des Hotels. Doch, sie fanden mehr als sie suchten: Spuren, dass jemand hier zeitweise gelebt hatte. Brotkrusten, ein leeres Glas, und ein zusammengelegtes Kleidungslager.
Brandt sah sich die Hinweise genauer an und ermutigte Lisa gleichzeitig, mitzuhelfen. Sie finden mit Lisas Erfahrung und präzise Beobachtungsgabe heraus: Stufenabdrücke in nassem Staub, die wahren Schichten von Historie, die in einer einzigen Geste und einem geistesabwesend zurückgeschobenen Vorhang. Sie deuten auf jemanden, der das Hotel hinter den Kulissen beobachtet hat. Jemanden, der wusste, wann Elvira allein sein würde.
Der Raum war in ein Schweigen gehüllt worden, unterbrochen nur von den gedämpften Holzinterferenzgeräuschen der Gasthausetagen über ihnen. Kaum zu glauben, wie die umgebene Menschenmenge dieser Atmosphäre nah sein kann. Brandt hielt inne und fühlte den Druck der hereinbrechenden Wahrheit. All diejenigen, die um den Sofásalon versammelt waren, waren antizipiert – einschließlich Viktor. Nachdem er die Position inspizierte, die der gestreifte Raum macht: "Es gibt eine Seite der Geschichte, die Viktor uns erzählt. Offensichtlich kannte er Elvira näher, und irgendwas ist gewiss geschehen. Und das mehr als ein Handlungsschnipsel, Geschichtenspiel, oder eine gemütliche Fantasie. Die Schatten deuten darauf hin."
"Viktor wollte sicherstellen, dass sie das Hotel hier nie verlassen würde.", endete Brandt leise und traurig.
Es war schwer zu sagen, ob es ein trauriges Bedauern oder ein erwartetes Lächeln war. In der kalten Effektschockichtung wussten sie, dass das Meer der Schatten Gestalt und Bedeutung angenommen hatte und dass das Kapitel einer finsteren Fernsehlektion möglich gemacht worden ist.




