Liebe im Takt der Tastatur
Die winterliche Dunkelheit legte sich früh über die Stadt und die Neonlichter des Bürogebäudes gaben dem Inneren ein unstetes, kaltes Flimmern. Im Großraumbüro, wo die Stunden in monotonem Takt verrannen, prallten Finger auf Tastaturen, als würden sie einen heimlichen Rhythmus einhalten – einen, den nur die Eingeweihten erahnten.
Tom war seit vier Jahren ein Teil dieses Taktgefühls. Zwischen Excel-Tabellen und endlosen Meeting-Notizen verliefen die Tage meist in einer betäubenden Routine. Heute aber veränderte etwas die vertraute Kulisse. Neben ihm, an einem Schreibtisch, den sie normalerweise nicht nutzte, saß Lina. Ihre Anwesenheit war etwas Besonderes, ein zarter Hauch von Frische in der abgestandenen Büroluft.
Ihre Stimme war leise, fast ein Flüstern, wenn sie sprach. Toms Ohren nahmen es auf wie ein versunkenes Echo, das ihn aus der Lethargie riss. “Weißt du, was ich an Winterabenden liebe?” fragte sie einmal aus dem Nichts, während der Bildschirm ihres Computers warmes Licht in ihr Gesicht warf. “Den Klang des Schnees, wenn niemand sonst unterwegs ist.”
Tom war keine Worte darauf eingefallen. Ein Lächeln war die einfachste Form der Antwort. Zwei Monate war er jetzt schon still in sie verliebt, und so gingen die Minuten und Stunden des langen Arbeitstages, ohne dass er mehr zu tun wagte als sie zu beobachten und sich auszumalen, wie es wäre, mit ihr zu sprechen, als gäbe es keine Barrieres.
Das Großraumbüro war mehr als nur ein Arbeitsplatz; es war ein Gedächtnis, in dem die Stimmen der Kollegen als Geister der Vergangenheit widerhallten. Abteilungsleiter Ben war der ruhige Geist in dieser Szene. Er hatte Tom letzten Monat befördert, was eine schale Süße hatte: mehr Verantwortung, kaum mehr Freiraum.
Gegen vier Uhr setzte ein Schneesturm ein, dicke Flocken deckten die Fensterfronten ab und tauchten die Umgebung in ein wolkenähnliches Weiß. “Morgen wird das Chaos ausbrechen, wenn der Verkehr stillsteht,” meinte Ben fast beiläufig, während er sich seine Jacke überzog. Tom und Lina blieben sitzen, eine unausgesprochene Übereinkunft, hier zu verweilen.
Es war Lina, die den ersten Schritt machte. “Hast du Lust, mit mir nachher etwas trinken zu gehen?” Die Einladung war so überraschend wie der erste Sonnenschein nach einer langen, kalten Nacht.
Tom nickte, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug. Die restlichen Büroleute nach und nach verschwanden, das Licht glimmte in den Ecken. Es blieben nur das Geräusch des Schnees und der ferne Puls der Stadt, während sie beide die Treppen hinunter zur Ausgangstür nahmen.
Der Schneefall hatte die Stadt wie eine weiße Leinwand umhüllt, auf der sie ihre Spuren hinterließen. Jeder Schritt entlang der Straßen war ein Teil von etwas Neuem – ein Puls, ein Pochen von Herzen, synchron mit der Musik von der Bar unter den Neonlichtern.
Das Gespräch floss, stockte und fand neue Bahnen. Sie erzählten von Reisen, die noch nicht fotografiert und Erinnerungen, die unbeaufsichtigt in ihnen glimmten. Nach Stunden verwandelte sich die Bar mit ihrem bunten Lichterspiel in das heimliche Wohnzimmer ihrer Gedanken. Der Schlag von Übergängen wirkte fast wie die Tasten einer Schreibmaschine, auf der eine Geschichte getippt wurde, Zeile um Zeile.
“Ich hatte schon lange das Gefühl, dass wir uns kennen,” sagte Lina und ihre Worte waren wie sterilisiertes Silber, schwer und poliert. Tom stellte sich vor, wie sie sich in der Bürozeit zusehend gefunden hatten, als die Sekunden laut tickten und doch so unbemerkt verrannen.
Am Ende des Abends schickte der Morgen mit erschöpften Winkeln des Himmels die frühen Strahlen ins Universum. Ihre Schritte führten sie zurück zum Großraumbüro, wo die angestauten Energien des Arbeitsalltages langsam wieder ins Bewusstsein traten. Es war fast absurd, sich in dem gleichen Raum wiederzufinden, dessen tickende Uhren noch von gestern schienen.
Die Excel-Tabellen waren nicht fort, die Tastaturen nicht leise. Aber etwas hatte sich gewandelt: zwischen den Zahlen war nun eine Spur von Herzschlag, zwischen den Routinezeilen die Möglichkeit von Neuem.
Winterliche Kälte klopfte an die Fensterscheiben, während Lina und Tom ihre Plätze einnahmen, nicht mehr Fremde eines Arbeitsalltages, sondern Lichtflecken auf der grauen Leinwand einer Winterroutine. Und immer, wenn die Neonlichter flimmerten, war es ein stilles Nicken dessen, was sie zu verbergen hielten: eine neue Geschichte, die sich inmitten der alltäglichen Tastenschläge entfaltete.




