Fäden aus Nacht
Der Nebel legte sich wie ein seidenes Tuch über die Stadt. Es war spät im Herbst, und die Straßenlaternen warfen trübe Lichtkegel, die in der feuchten Luft verschwammen. Auf der alten Stadtbrücke, über der der Fluss leise murmelte, schritt Cael langsam voran. Seine Gedanken kreisten in unaufhörlichen Mustern, während das Echo seiner Schritte im Dunst verloren ging.
Am anderen Ende der Brücke, wo sich der Nachtmarkt erstreckte, pulsierte das Leben aus flüsterndem Lachen und den gedämpften Rufen der Händler. Es war ein vertrautes, doch immer aufs Neue faszinierendes Schauspiel. Der Markt erwachte bei Anbruch der Dämmerung zum Leben und erschuf zauberhafte Fäden aus Lichtern und Schatten.
Cael hielt inne, seine Augen verweilten auf den verschwommenen Schemen. In seinem Inneren regte sich das kaum greifbare Gefühl, als ob in dieser Nacht etwas Unvermeidliches auf ihn wartete. Ein Faden, in den er ungewollt verwoben war.
Serin stand am anderen Ufer der Brücke, von der Kühle des Abends durchdrungen. Die Nachtluft war schwer vom Duft gekochter Gewürze und süßer Backwaren. Erinnerungen aus ihrer Kindheit mischten sich mit der Gegenwart, als ob die Zeit selbst mit den Nebelschwaden flöße.
Ein Windstoß ließ ihr langes Haar tanzen, und sie fühlte, wie unendlich sanfte, unsichtbare Fäden sie vorwärts in Richtung der Brücke zogen. Jene Brücke, die von vielen Geschichten geflochten war, die sich tief in das Pflaster der Stadt eingegraben hatten.
Als Serin sich näherte, bemerkte sie die Gestalt, die in der Mitte der Brücke verweilte. Ihr Herz schlug schneller, ein Gefühl des Déjà-vu durchströmte sie, als ob sie Cael schon immer gekannt hätte, bevor sie ihn je getroffen hatte.
Cael sah auf. Serins Augen begegneten den seinen, durchdrangen die dichten Schleier des Nebels zwischen ihnen, und ein Strom von Vertrautheit und Anerkennung wehte durch die Nacht. Kein Wort wurde gesprochen, doch in diesem stummen Austausch lag ein tieferes Verständnis, ein unausgesprochenes Einvernehmen.
„Was führt dich hierher?“ fragte Cael schließlich und brach die Stille.
Serin lächelte schwach. „Vielleicht die gleichen Fäden, die dich und mich zu diesem Ort aus Licht und Schatten gewoben haben.“
Ihr Lächeln erwidernd, spürte Cael, wie sich eine Leichtigkeit in ihm breit machte, als ob die Schwere vergangener Sorgen durch eine unsichtbare Hand sanft gelöst worden wäre.
„Manchmal frage ich mich, ob es der Lauf der Sterne ist, der uns lenkt, oder ob es unsere eigenen Wünsche sind, die uns treiben“, sagte er leise.
„Vielleicht ist es beides“, erwiderte Serin. „Vielleicht weben wir unsere Schicksale mit, und die Nacht erlaubt uns, die Fäden klarer zu erkennen.“
Die letzten Stimmen des Marktes verklangen, und die nur noch schemenhaft zu erkennenden Lichter ließen die Umgebung in einen matten Schimmer tauchen. Die Stadt begann zu schweigen, während Serin und Cael nebeneinander über die Brücke schritten, jeder Schritt ein weiteres Kapitel, eine weitere Verbindung in ihrem noch unbeschriebenen gemeinsamen Geschichtsband.
In der leisen Umarmung der Nacht schien alles für einen Moment innezuhalten, tief und bedeutungsvoll. Der Nebel wirkte nicht mehr als Barriere, sondern vereinte die beiden Gestalten auf überraschend intime Weise.
Es war, als ob die Brücke selbst lebendig geworden wäre, ein Wesen aus Stein und Geschichte, das Zeuge unzähliger Begegnungen war und dennoch in jeder neuen Verbindung seine Erfüllung fand.
Schließlich verweilten sie am Ende der Brücke, wo die erste Blätterdecke des Herbstes die Erde berührte. Serin hielt inne, ein plötzlicher Windstoß hob die Blätter auf, ließ sie in einem verspielten Tanz wirbeln, bevor sie zu Boden sanken. Und in der Stille der Nacht realisierten sie, dass der einzige Weg, den sie gehen wollten, der war, den sie beide erst zusammen erschaffen würden.
Cael drehte sich zu ihr, der Ernst seiner Gesichtszüge wandte sich den unausweichlichen Fragen des Lebens zu. Doch ohne ein weiteres Wort, verstanden sie, dass sie die Nacht in all ihrer Ungewissheit willkommen heißen würden.
Und während die Fäden der Nacht sich um sie schlossen, verließen sie den Schatten der Brücke und schritten in die glaubensvolle Zukunft, bereit, jeden Schritt zu einem neuen Beginn zu machen.




