Die Akte Lichtschein
Im gedämpften Licht des Archivs war es kühl und still. Nele zog ihren Mantel fester um sich, während ihr Atem in kleinen Wölkchen sichtbar wurde. Sie liebte diese Oase der Vergangenheit, die Ordner und Akten, die von Geschichten erzählten, ebenso wie von vergessenen Geheimnissen. Doch heute war es anders. Heute sollte sie eine Akte finden, die mehr Licht in einen der ältesten ungelösten Fälle ihrer Stadt bringen könnte.
Staatsanwalt Jan hatte sie kontaktiert. ‘Es gibt da etwas, das ich nicht mehr loswerde’, hatte er gesagt, sein Gesicht im flackernden Neonlicht des schmalen Flurs von Sorgenfalten durchzogen. ‘Eine Akte, die wir bisher übersehen haben, aber entscheidend sein könnte.’
Gemeinsam hatten sie die Stufen zum Dachboden erklommen, das Herz jedes Archivars. Dort oben, wo die Temperatur noch weiter fiel, standen aufgereihte Ordner, die Geschichten von Jahrzehnten in sich trugen.
Jan, groß und breitschultrig, musterte die Reihen von Akten. Nele beobachtete ihn, beeindruckt von der Entschlossenheit in seinen Augen. Es war spät am Abend, der Wind heulte um das Gebäude, aber etwas an seiner Anwesenheit wärmte sie.
‘Hier sollte sie sein’, bestätigte Nele und deutete auf den Schrank, der einen besonderen Platz im Staubmeer einnahm. ‘Die gesuchten Akten sind vor allem in den 70er Jahren katalogisiert.’
Sie öffnete vorsichtig die Türen, ihre Hände zitterten leicht, nicht nur vor Kälte. Als sie die Akte Lichtschein erblickte, hielt sie inne. ‘Das ist es’, flüsterte sie, als ihre Finger über den abgenutzten Rücken fuhren.
Jan rückte näher, das tiefe Blau seiner Augen leuchtete im Zwielicht des Raumes. Gemeinsam blätterten sie durch vergilbte Seiten, handschriftliche Notizen, Spuren einer vergessenen Ermittlung. Es war erstaunlich, wie viel Leben sich in solchen Papieren verbarg.
‘Hier’, sagte Jan schließlich, als er auf einen Absatz starrte. ‘Hier steht etwas, das mir nie auffiel. Ein Detail, das wir übersehen hatten.’ Nele lehnte sich über die Akte und las, ihre Stirn in Falten gelegt.
- Ein Hotelzimmer, das unbeachtet blieb.
- Das Klingeln in der Nacht, das nie beantwortet wurde.
- Eine alte Frau, die auf der anderen Seite der Stadt wohnte.
Jans Hand zitterte leicht, als er auf die spezifischen Einträge deutete. ‘Wir müssen es überprüfen’, sagte er mit einer Stimme, die plötzlich voller Dringlichkeit klang.
Sie verließen das Archiv, die winterliche Kälte umfing sie sofort, ließ ihre Schritte schneller werden. Hinsichtlich des neuen Fundes vereinbarten sie, sich am nächsten Tag bei dem alten Hotel zu treffen. In dieser Nacht konnte keiner von beiden recht schlafen. Die Details hallten in ihren Gedanken wider, ein Gesamtbild, das sich allmählich formte.
Der nächste Tag brachte mehr als nur kalten Sonnenschein; es brachte Klarheit. Zusammen mit Jan durchsuchte Nele das alte Hotelzimmer, ein Zeugnis aus einer anderen Zeit. Sie fanden, was sie suchten – ein winziges Detail, ein verlorener Schlüssel, der zum verborgenen Zimmer führte.
Damit öffneten sie sprichwörtlich einen Raum, gefüllt mit Informationen, die das Schicksal all derer verändern könnten, die in diesem alten Fall verstrickt waren. Jan und Nele sahen sich an, Gestalten im Lichtstaub, während die Erkenntnis sie durchdrang.
‘Licht liegt in den Details’, murmelte er nachdenklich.
Die Wahrheit über die Akte Lichtschein war nicht länger verborgen. Während sie das Hotel verließen, gingen ihre Gedanken weiter in die Nacht, in eine Zukunft, die näher war als je zuvor. Jede Geschichte erzählt sich doch am besten, wenn man die Details kennt.




