Nacht in Stiege B
Amir hörte den Wind gegen die Fensterläden klappern. Es war eine jener Nächte, in denen alles still zu stehen schien, außer den Schatten, die sich in seinem Kopf bewegten. Der Mond hing wie ein bleicher Wächter über dem Hinterhof von Stiege B und spendete ein fahles Licht, das sich auf die nassen Pflastersteine legte.
Er hatte sich gerade auf das knarzende Sofa in seiner kleinen Wohnung zurückgezogen, als er das Geräusch hörte. Ein gedämpftes Schlurfen, gefolgt von einem kurzen Klirren. Seine Neugier, gepaart mit einer gewissen Unruhe, trieb ihn zur Tür. Er öffnete sie einen Spalt und sah hinaus ins dunkle Stiegenhaus.
Wer war da? Was war da?
Die anderen Parteien des Hauses schliefen zu dieser Stunde meist tief, Abschottung mit geschlossenen Fensterläden und Türen als Schutz vor der Dunkelheit. Doch etwas trieb Amir dazu, genauer hinzusehen.
Im trüben Licht der Notleuchte am oberen Treppenabsatz erblickte er eine Gestalt, die sich langsam die Stufen hinabbewegte. Es war Kripo Novak, der im Haus seit Tagen ermittelte. Sein Blick war ernst, vertieft in eine Welt, die Amir verborgen blieb.
Novak war ein verschlossener Mann, der selten Worte verschwendete. Lautlos setzte er seinen Weg fort, als sei er ein Gespenst, das in der Nacht wandelte.
Amir beobachtete, wie Novak im Hinterhof verschwand, die Dunkelheit verschluckte ihn fast, bevor das Mondlicht sein Gesicht erneut entblößte. Vorsichtig trat Amir einen Schritt heraus, seine nackten Füße berührten die kalten Fliesen.
Unten angekommen, fand er Novak vor der alten, halb eingefallenen Hütte im Hof stehen. Die Hütte war einst ein Geräteschuppen, der längst vergessen seine Rolle als Aufbewahrungsort verloren hatte.
„Was bringt Sie hierher, Amir?“, fragte Novak, ohne den Kopf zu wenden. Seine Stimme war eine Mischung aus Müdigkeit und Schärfe.
„Ich wollte nur — etwas Luft schnappen“, log Amir zaghaft.
Novak drehte sich um, seine Augen trafen die von Amir unter dem Mondlicht. „Manchmal reden die Wände mehr als die Menschen hier.“
Ein kühler Schauer lief Amir über den Rücken, aber er nickte nur. Novak schien eine verborgene Wahrheit zu hören, die sich ihm noch nicht erschlossen hatte. Amir suchte in Novaks Gesicht nach Antworten, doch fand er nur verschlossene Türen.
„Wissen Sie“, begann Novak leise, „dieser Ort… er verbirgt mehr, als man auf den ersten Blick sieht.“
Amir spürte eine merkwürdige Faszination für die düstere Aura des Ermittlers, der so anders war als die anderen Bewohner. Und als wäre die Nacht selbst eine Zeugin ihrer Gespräche, fiel eine seltsame Stille über den Hof. Der Wind hatte aufgehört, und das Klappern war verstummt.
„Jeder hier hat seine eigene Geschichte. Manchmal überhören die Menschen die leisen Dinge.“ Novak musterte die Wände, die Fenster und schließlich Amir.
Ein Moment schien zu streichen, als die beiden im Schatten der Hütte standen, einander verborgen und doch in einer geteilten Stille vereint.
„Glauben Sie an Indizien?“, fragte Amir schließlich, die Neugier überwog seine Unsicherheit.
Novak lächelte schwach. „Indizien sind oft mehr wert als bloße Worte. Sie erzählen leise Geschichten, die darauf warten, gehört zu werden.“
Als Amir sich später in die Sicherheit seiner Wohnung zurückzog, wusste er mehr über das Nichtsagen. Vielleicht war es die selbst auferlegte Stille in Stiege B, die Furcht, sich zu offenbaren, oder einfach die geheimen Dramen, die in den Schatten ankerten.
Und als der Morgen langsam anbrach, fühlte er sich anders — als ob er mehr gesehen, mehr gehört hatte. Doch die größte Wahrheit blieb ungesagt, versteckt zwischen den Mauern und den flüsternden Stimmtönen der Nacht.




