Überstunden im Lichterregen
Das Büro in der dritten Etage leerte sich langsam. Die Arbeitsplätze waren verlassen, nur die surrenden Computer und das gelegentliche Klappern der Heizung füllten das leere Großraumbüro mit einem Hauch von Leben. Rafi saß an seinem Schreibtisch, die Stirn in die Hand gestützt, die Augen auf den Bildschirm gerichtet, aber mit den Gedanken weit weg.
Es war ein weiterer Abend voller Überstunden. Eigentlich, dachte er, müsste er längst zu Hause sein, aber der Stapel an Berichten schien nicht kleiner zu werden. Draußen brach die Dunkelheit herein, doch die Stadt war erleuchtet von einem Fest der Lichter, die die Straßen in ein buntes Funkeln tauchten.
Er seufzte und streckte sich, als er schließlich seine Arbeit für beendet erklärte. Während er seinen Mantel anzog und den PC herunterfuhr, glitt sein Blick aus dem Fenster. Unten in der Straße ging Lena, die Kollegin aus dem Marketing, schnellen Schrittes zur Bushaltestelle. Sie hatte diese auffällige rote Mütze an, die Rafi immer zum Schmunzeln brachte.
Er eilte zur Tür. Er wusste, dass sie denselben Bus nahmen und beschloss, sich doch noch zu beeilen. Kaum draußen, umwehte ihn die kalte Winterluft und sein Atem formte kleine Wolken vor seinem Gesicht. Er zog den Schal enger und eilte die metallenen Treppen hinunter.
Lena war noch da, aufmerksam auf ihr Telefon blickend, als Rafi sich zu ihr gesellte. “Überstunden sind der Alptraum, nicht wahr?”, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln.
Sie sah auf und lächelte zurück. “Ja, vor allem bei diesem Wetter. Es fühlt sich so seltsam an, wenn die Straßen voller Lichter sind, aber man sich trotzdem allein fühlt.”
Ihre Worte hallten nach, während Rafi sprachlos nickte. Und da standen sie, Seite an Seite, umgeben von funkelnden Lichtern und dem geschäftigen Treiben einer Stadt, die nie schlief.
Der Bus kam, und die beiden stiegen ein. Innen war es warm und ein behaglicher Gegensatz zur winterlichen Kälte draußen. Sie setzten sich nebeneinander, und eine ungewohnte Ruhe senkte sich über Rafi, als er aus dem Fenster blickte, beobachtete, wie die Welt draußen im Lichterregen vorbeiziehte und in den Reflexionen des Fensters verschwand.
“Ich frage mich manchmal, wie es wäre, wenn wir einfach den nächsten Bus verpassen würden und loszogen, um die Lichter zu erkunden”, sagte Lena plötzlich, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Rafi lachte leise. “Sollten wir?”
Sie zuckte mit den Schultern, und für einen Moment sprach keiner von ihnen. Es war eine jener ergreifenden Pausen, in denen Worte zu viel und das Schweigen gerade richtig waren.
Die Haltestelle kam, und der Bus hielt zischend an. Sie stiegen aus, der Schnee knirschte weich unter ihren Schritten. Und doch stand da etwas Besonderes in der Luft, eine Art von Verbindung, die weder Rafi noch Lena erwartet hatten.
“Vielleicht morgen?”, fragte Lena, ein Hauch von Hoffnung in ihrer Stimme. Rafi nickte.
Ein Teil von ihm wollte sofort nicken und zustimmen, während der andere Teil ihn an die Berichte auf dem Schreibtisch erinnerte. Doch als er in ihre Augen sah, wusste er die Antwort längst.
Sie drehten sich langsam um, die Lichter rückten allmählich in den Hintergrund, während sie schweigend nebeneinander hergingen, die Schritte leichtfüßig und beschwingt, begleitet vom sanften Knistern des Schnees unter ihren Stiefeln. Der Heimweg fühlte sich auf einmal anders an, erfüllt von etwas Neuem, einer Möglichkeit, die in der kalten Abendluft flimmerte.




