Der erste Tag ohne Deadline
Jonas saß in seiner Homeoffice-Ecke, der Blick auf den weißen Kalender gerichtet, der seit dem Jahreswechsel leer geblieben war. Noch vor einer Woche schien jeder Tag mit Terminen und Fristen gefüllt zu sein, doch jetzt, an diesem Wintermorgen, herrschte eine ungewöhnliche Stille, die mit dem sanften Licht des frühen Tages durch die Vorhänge drang.
Der PC war ausgeschaltet, und das leise Ticken der Wanduhr hinter ihm schien den Raum fast zu übermannen. Es war erstaunlich, wie sehr er sich über die Jahre an das konstante Summen gewöhnt hatte, das jetzt fehlte. Sein Atem dampfte leicht in der kalten Luft. Trotz der Heizung war der Raum ein wenig kühl, gerade kühl genug, um an die Frische eines Neuanfangs zu erinnern.
Er zog seine flauschigen Hausschuhe aus, spürte das kühle Parkett unter den Füßen und lehnte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. An die Decke starrend, ließ er seine Gedanken treiben, etwas, das ihm in den letzten Monaten fast unmöglich schien. Es gab immer etwas zu tun, etwas, das Dringlichkeit forderte, wobei das Dringende oft das Wichtige verdrängte.
Eine Möwe schrie aus der Ferne. Der Klang schleuderte ihn zurück in das Jetzt. Jonas stand auf und ging zu dem kleinen Fenster an der Wand. Von hier aus konnte er auf die Eiskristalle blicken, die sich wie ein feines Netz über die Scheibe gezogen hatten und die Welt davor in eine verzerrte, märchenhafte Szenerie verwandelt hatten. Diese Aussicht hatte er lange nicht mehr genossen.
Ein paar Schneeflocken begannen zu fallen, leise wie das Rauschen eines Radios, dessen Frequenz sich im Dunst verloren hatte. Jonas öffnete das Fenster und fühlte, wie die kühle Luft ihn wachrüttelte, ihn erfrischte. Es roch nach Winter, nach der kargen Frische des neuen Jahres. Es war seltsam, wie schnell man vergaß, was einem einst wichtig war, wenn das Tagesgeschäft seine Krallen ausstreckte.
Er lächelte sich selbst im Spiegel gegenüber zu, eine Geste fast schon fremd und doch vertraut. Jonas hatte sich dafür entschieden, sich Zeit zu nehmen, um über das nachzudenken, was ihm am Herzen lag und loszulassen, was ihm im Weg stand. Das war seine Resolution für das neue Jahr gewesen, eine, die er diesmal wirklich einhalten wollte.
Die Freiheit, den Tag selbst zu gestalten, ohne das Diktat des Kalenders, war einschüchternd und befreiend zugleich. Jonas schnitt sich ein Stück von dem Brot ab, das er noch am Vortag gebacken hatte. Der Geruch von warmem Sauerteig füllte den Raum und brachte Erinnerungen an seine Kindheit zurück, als die Welt noch klein und überschaubar schien.
Seine Gedanken schweiften in die Zukunft. Ideen flogen herbei, Projektskizzen in seinem Kopf, die ohne den Druck der Auftragsbücher langsam Gestalt annahmen. Er verspürte ein Gefühl von unendlichen Möglichkeiten, getragen von der einfachen Freiheit, einfach nur zu sein. In diesem Moment fühlte sich Jonas mehr wie er selbst, als er es lange tat.
Er drehte sich um und schaute in den leeren Raum, der jetzt nicht mehr leer, sondern voller Potenzial schien. Jonas wusste, dass dies nicht das Ende seiner Arbeit war, sondern ein neuer Anfang in einer vertrauten Umgebung. Der erste Tag ohne Deadline war kein Ende, sondern der Beginn seiner eigenen Uhr, die nur er selbst stellte.
Jonas atmete tief ein, genoss diesen Augenblick ganz für sich. Bald würde er durch die Stadt spazieren, die kühlen Schneeflocken auf seiner Haut fühlen und den ersten Tag in Freiheit willkommen heißen.




