Die Klasse und der leere Wunschbaum
Ein kalter Wind wehte um die Fenster der Grundschule. Schneeflocken tanzten leise von den grauen Wolken herab und bedeckten die Welt mit einem sanften weißen Teppich. In der Aula der Schule, wo die Wände mit bunten Girlanden geschmückt waren, stand ein großer, noch kahler Tannenbaum. Er wartete darauf, mit Leben und Farbe gefüllt zu werden.
Die Kinder der 3b wussten, dass sie heute etwas ganz Besonderes vorhatten. Frau Kranz, ihre Lehrerin, hatte ihnen von einem Wunschbaum-Projekt erzählt. Es ging darum, Wünsche an andere zu verschenken, anstatt selbst welche zu erwarten.
„Stellt euch vor, wir könnten in diesem Jahr ein bisschen Licht und Freude zu anderen bringen,“ hatte Frau Kranz mit warmem Lächeln gesagt, ihre Stimme sanft wie ein Weihnachtslied. „Dieser Baum hier ist dafür da, dass wir ihn dekorieren – nicht für uns, sondern für Menschen, die sonst vielleicht vergessen werden.“
Die Kinder hörten aufmerksam zu, während der Duft von frisch gebackenen Plätzchen aus der Schulküche heraufzog. Ben, der immer ein wenig Abseits stand, hatte einen Gedanken. „Was können wir denn schenken, wenn wir selbst kaum etwas haben?“ fragte er leise.
Aylin, die neben ihm saß, flüsterte ihm zu: „Jedes selbstgemachte Geschenk ist ein Geschenk des Herzens.“ Ihre Augen funkelten, als ob sie ein geheimes Lächeln teilen würde.
So kamen die Kinder zusammen, um einen Plan zu schmieden. Sie bastelten aus buntem Papier kleine Sterne, Herzen und selbst gemalte Bilder. Jeder fügte etwas Besonderes hinzu. Bens Idee war es, leere Marmeladengläser mit gedruckten Wünschen zu füllen.
„Das ist wirklich clever,“ lobte Frau Kranz und half ihnen beim Festbinden der roten Bänder. „Jeder dieser Wünsche wird jemandem den Tag erhellen.“
Am nächsten Morgen weckte der Duft nach Tannennadeln die Kinder. Der Baum strahlte in seinem neuen Kleid aus Lichtern und Farben. Jedes Kind stellte sich der Reihe nach hin und hängte sein Geschenk an die Zweige, das Rascheln des Papiers klang wie leise Musik in den Ohren.
Als Letzter trat Ben vor. Seine Hände zitterten ein wenig, nicht vor Kälte, sondern vor Freude. Er befestigte sein Glas vorsichtig, als wäre es ein zerbrechlicher Schatz.
„Ich hoffe, der Baum sieht schön aus,“ sagte Ben halblaut zu Aylin, die neben ihm stand. „Ich auch,“ nickte sie, „ich denke, er ist der schönste Baum, den wir je hatten.“
Während die Stunden vergingen, und der Abend nahte, überzog ein weiches Licht die Aula. Draußen sanken die Schatten, aber drinnen leuchtete der Baum mit einer Wärme, die noch nie zuvor gespürt worden war.
Bevor die Kinder nach Hause gingen, stand Frau Kranz noch einmal vor ihnen. Ihre Augen glänzten voller Freude und etwas, das so warm war wie der Schein der Kerzen. „Ihr habt heute etwas Wunderbares geschaffen,“ sagte sie leise. „Euer Baum schenkt anderen die Weihnachtsfreude, die sie vielleicht sonst vermissen würden.“
Die Kinder gingen in dieser Nacht mit einem Wohlgefühl nach Hause, das in ihrem Herzen brannte wie ein kleines, behagliches Feuer. Und während der Schnee leise fiel, wussten sie, dass sie ein Stück Weihnachten zu anderen gebracht hatten.




