Glühwein in der Teeküche
Marlene betrachtete die Regentropfen, die in sanften Bahnen am Fenster der Teeküche hinunterliefen. Die Lichterkette, die Sophie letzte Woche aufgehängt hatte, widerspiegelte sich träge in den nassen Scheiben. Der Glühweinduft lag warm in der Luft, während der Lärm des vergehenden Arbeitstages im Flur langsam verklang.
„Braucht jemand noch eine Tasse?“, fragte Amir, der sich gerade die zweite Portion eingoss. Sein Lächeln war schief, seine Hände ein wenig zittrig vom kalten, nassen Heimweg, den er vor sich hatte.
„Hier, gerne. Danke, Amir,“ sagte Marlene und nahm die dampfende Tasse entgegen. Die Wärme schien durch ihre Finger direkt in ihr Herz zu fließen.
Sophie gesellte sich zu ihnen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsplatte. Ihre üblichen Reserven an Energie und Fröhlichkeit schienen auch vom Wetter erdrückt zu werden. „Was für ein Tag“, seufzte sie und nahm einen großen Schluck aus ihrer Tasse.
„Ich habe das Gefühl, dass die Jahresabschlüsse jedes Jahr stressiger werden. Man sollte meinen, man gewöhnt sich daran“, meinte Amir, während er den Blick von einem zum anderen wandern ließ. Die sanfte Musik, die sie aus der kleinen, alten Radioanlage laufen ließen, passte perfekt zu der gedämpften Stimmung.
„Was machst du so über die Feiertage, Marlene?“, fragte Sophie und blickte neugierig über den Tassenrand.
„Nichts Großes, nur ein bisschen Erholung“, antwortete Marlene ausweichend, während sie sich vorstellte, wie sie einfach nur in ihrer kleinen Wohnung in eine Decke gehüllt würde, während alles andere draußen in der Winterkälte verharren durfte.
„Manchmal ist das genau das Richtige“, kommentierte Amir einfühlsam. „Was ist mit dir, Sophie?“
„Ich fahre zu meinen Eltern. Ein jährliches Pflichtprogramm“, lachte sie und zuckte etwas resigniert mit den Schultern. In dieser alltäglichen Ritualität lag eine tröstliche Gewohnheit.
Sie verbrachten eine Weile damit, belanglosen Geschichten zu lauschen und das wohlige Gefühl von temporärer Entspannung aufzusaugen. Die Gedankenschwere wich dem Glühweinaroma.
„Du solltest öfter ausgehen, Marlene“, meinte Sophie plötzlich. Ihre Stimme klang weich, fast ein bisschen besorgt.
Marlene lächelte schwach. „Ich mag wohl einfach lieber den ruhigen Abend zuhause.“
Der Regen prasselte unnachgiebig gegen die Fenster, während die Zeit stillzustehen schien. „Bleibst du noch ein wenig, Marlene?“, fragte Amir leise, ohne Eile. Seine Worte trugen eine seltsame Leichtigkeit, die sie fast erschreckte, aber zugleich neugierig machte.
Marlene nickte, unmerklich zögernd. „Gerne, Amir.“ Sophie erhob sich wenig später entschuldigend, um ein Telefonat mit einem ungünstig späten Kunden zu führen, der Anruf hatte die Atmosphäre zwar gestört, aber nicht zerstört.
„Manchmal frage ich mich, ob wir alle eine Spur zu viel arbeiten“, meinte Amir nachdenklich. „Komisch, dass man das ausgerechnet hier in der Teeküche bemerkt.“
„Vielleicht ist es das einzig menschliche an einem Arbeitstag“, antwortete Marlene mit einem leichten Lächeln. Sie genoss die unerwartete, fast greifbare Ruhe, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte.
Als Sophie zurückkehrte, hatte sich die Stimmung entschlossen zu zauberschönen Wintergemütlichkeiten verflüchtigt. Sie lächelte wissend, aber sagte nichts weiter, als sie ihre Jacke nahm und mit einem erleichterten Tschüss die Teeküche verließ.
„Gute Nacht“, bemerkte Marlene schließlich mit einem Hauch von Schüchternheit in der Stimme. Kaum hatte sich Sophie verabschiedet, war die Luft knisternd und irgendwie voller Möglichkeiten hinterblieben. „Ich glaube, ich werde jetzt auch los“, sagte sie, obwohl die Stimme in ihrem Kopf flüsterte: Bleib hier, bleiben mit ihm.
Amir verzog den Mund zu einem nachdenklichen Lächeln. „Ich hoffe, wir können das wiederholen, irgendwann.“
Marlene nickte, während sie der Glühweinluft einen letzten Moment gönnte, um sie auszufüllen. „Ich würde mich freuen“, erwiderte sie sanft und die Tür fiel leise zu, fast als wollte sie diese unwahrscheinliche Verbindung behüten. Gemeinsam und losgelöst.




