Zwei Tassen unter dem Winterhimmel
Es war Heiligabend, und eine ungewöhnliche Stille lag über der Stadt. Die Lichter der Fenster leuchteten warm, während draußen ein leiser Schneefall den Asphalt küsste. Auf einem Dach, hoch über dem Lichtermeer, standen zwei Stühle bereit, neben ihnen ein kleiner Tisch, auf dem zwei dampfende Tassen standen.
Mira hatte den Abend auf der Dachterrasse vorbereitet, um dem Trubel unter sich zu entfliehen. Ihr Hund Leo trottelte fröhlich um sie herum, seine Fußspuren zeichneten Muster in den frisch gefallenen Schnee.
Es war ihre Art, Weihnachten zu verbringen. Allein, aber in der Umarmung der Lichter, die wie Sterne über die Stadt verteilt waren. Doch heute war es anders. Heute war Jonas da.
Jonas, der Neuankömmling im Haus, schien genauso nach Ruhe zu suchen wie sie. Sie hatten sich im Treppenhaus getroffen, als er seine Weihnachtskarten in die Briefkästen gesteckt hatte. “Hast du etwas vor heute Abend?” hatte er gefragt, ein Hauch Unsicherheit in seiner Stimme.
“Nicht wirklich. Ich plane, den Abend oben auf der Dachterrasse zu verbringen”, hatte Mira geantwortet. Es war nur eine beiläufige Bemerkung gewesen, kein wirkliches Angebot. Doch Jonas hatte gelächelt. “Darf ich mich dazugesellen?”
Jetzt stand er da, in seinem dicken Mantel, die Hände tief in den Taschen vergraben, und blickte über das funkelnde Panorama der Stadt. Leo hatte es sich zu seinen Füßen bequem gemacht, das Kinn auf die Vorderpfoten gelegt, mit einer Zufriedenheit, die nur Hunde zu kennen scheinen.
Sie saßen sich gegenüber, jede Bewegung durch die Dunkelheit und den Schnee gedämpft. “Es ist schön hier oben”, sagte Jonas schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Mira nickte. “Ich komme oft hierher, besonders an Weihnachten. Es ist, als ob die Welt für einen Moment anhält.”
Er nickte, nahm einen Schluck aus seiner Tasse. “Danke, dass du mich eingeladen hast.”
“Ich habe es gar nicht richtig eingeladen…”, begann Mira, doch sein Lachen unterbrach sie.
“Trotzdem. Manchmal reicht’s, wenn man einfach fragt.”
Sie lächelten sich an, und die Stille legte sich wieder über sie, eine dicke Decke aus Schneeflocken und Unausgesprochenem. Lichter funkelten in der Ferne, und das Knarren des alten Gebäudes im Wind klang staubig und beruhigend.
Nach einer Weile war es Jonas, der die Ruhe erneut brach. “Erzähl mir von dir, Mira. Warum bist du hier oben? Warum nicht in der Feier mit Freunden oder Familie?”
Sie zuckte mit den Schultern. “Es ist einfacher so. Keine Erwartungen, kein Chaos. Nur ich selbst… und Leo natürlich.”
“Verstehe”, murmelte er. “Ich bin auch nicht der Typ für große Feiern.”
Der Abend wanderte weiter, während ihre Worte sich langsam um sie legten, eine Brücke über die weißen Distanzen.
“Weißt du”, sagte Jonas nachdenklich, “manchmal denke ich, dass wir im Streben nach großen Momenten die kleinen übersehen. Aber heute Abend… das ist was Besonderes.”
Mira sah ihn an, und sie wusste, dass er recht hatte. “Besonders machen wir selbst es, denke ich. Die Welt hört nicht wirklich auf zu drehen, aber für einen Moment können wir es still werden lassen.”
Jonas nickte, ein Lächeln zog über sein Gesicht, als sich Leo geschmeidig aufrichtete und die Nase in die Luft reckte, als würde er das Einverständnis aus ihrer Unterhaltung herausfiltern.
Der Schneefall wurde dichter, der Wind nahm zu, und schon bald hüllte ein leichter Schleier aus Flocken die Dachterrasse ein. “Das ist vielleicht unser Zeichen, reinzugehen”, sagte Mira schließlich und erhob sich. Leo, immer wachsam, stand mit einem Schwanzwedeln auf.
Jonas folgte ihrem Beispiel, seine Tasse in der Hand. “Vielleicht ist es das.” Auch er schien nicht widerstrebend, sich von der frostigen Schönheit des Abends zu trennen.
Sie gingen gemeinsam zur Tür, ihre Schritte ein spiegelndes Echo von Zweisamkeit und stiller Übereinkunft.
Als sie die Treppen hinuntergingen, wandte Jonas sich noch einmal um. “Vielleicht können wir das wiederholen. Ein anderes Mal, wenn es nicht schneit.”
Mira hielt inne, ein Lächeln stahl sich über ihr Gesicht. “Ja, das sollten wir wirklich.”
Während sie sich unten trennten, blieb eine leise Ahnung zurück. Nicht wirklich eine Verpflichtung, sondern eine Möglichkeit, die Frage in den Raum stellt ohne zu nötigen. Und das war genug.




