Das Zimmer über dem Weihnachtsmarkt
Es schneite, als Lea die Tür zur kleinen Pension öffnete und der warme Duft von Zimt und Nelken ihr entgegenschlug. Die Besitzerin, Frau Adler, begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln und gab ihr den Schlüssel für das Zimmer im obersten Stock.
“Sie haben Glück – es ist das Schönste, mit Blick auf den gesamten Weihnachtsmarkt”, sagte Frau Adler, während sie Lea die Treppen hinaufführte. Das Holz unter ihren Füßen knarrte beruhigend.
Das Zimmer war klein, aber gemütlich. Ein schmales Bett, ein antiker Schreibtisch und große Fenster, durch die Lichter der Marktbuden unten in sanften Wellen hineinsickerten. Lea stellte ihre Tasche ab und zog den Vorhang noch ein Stück auf, um den Ausblick zu genießen.
Hier kannst du durchatmen, dachte sie, während sie die verschneiten Dächer betrachtete.
Am Abend ging Lea hinunter auf den Markt, mitten in die Menge, die sich zwischen den Ständen drängte. Kinder lachten, und der Geruch von Bratäpfeln hing in der Luft. Sie kaufte sich eine Tasse Glühwein und schlenderte umher, versuchte, ihren Kopf abzuschalten.
“Entschuldigen Sie, sind Sie Lea?”, fragte eine Stimme, und sie drehte sich um. Ein Mann stand vor ihr, Mitte Dreißig, mit zerzaustem braunen Haar und einem nachdenklichen Blick in den Augen.
“Ja?”, antwortete sie zögernd.
“Ich bin Tomas. Frau Adler meinte, sie wären auch alleine hier.” Er schien etwas unsicher, als er sie ansah, und sie fühlte eine unwillkürliche Wärme.
“Ah, ja. Ich brauchte eine Auszeit”, sagte sie. “Wollen wir zusammen eine Runde drehen?”
Sie liefen nebeneinander her, redeten über Belangloses – die Kälte, die festlichen Lichter. Tomas erzählte, dass er hier früher mit seiner Familie gewesen war. “Es hat sich viel verändert, aber irgendwie auch nicht.”
Zurück in der Pension saßen sie im Wohnzimmer und teilten zögerlich Geschichten aus ihrer Vergangenheit.
“Ich habe eine Schwester, die ich lange nicht gesehen habe”, sagte Tomas leise.
“Wir hatten ein Missverständnis vor Jahren, und seitdem…” Er brach den Satz ab, aber Lea verstand.
“Manchmal wäre es schön, die Vergangenheit einfach loszulassen, oder?”, flüsterte sie. Tomas nickte.
Der nächste Tag begann mit überraschend klarer Luft. Lea klingelte an Tomas’ Tür und sie gingen gemeinsam frühstücken. Die Nähe wuchs, ohne dass jemand von ihnen es verhindern oder erklären konnte.
“Kommst du mit?”, fragte er, als sie fertig gegessen hatten. Sie wagte es nicht, nach dem Ziel zu fragen. Sie wollte nur mehr von dieser unerwarteten Verbundenheit.
Als sie entlang der verschneiten Gassen schlenderten, entdeckte Lea ein kleines Ladenschild, auf dem „Altmodische Erinnerungen“ stand.
“Lass uns reinschauen”, schlug Tomas vor.
Im Inneren war es warm, und der Duft von altem Papier und Holz hing in der Luft. Tomas hielt ein verstaubtes Bilderbuch in der Hand, betrachtete die vergilbten Seiten mit einem sanften Lächeln. “Das hatten wir, meine Schwester und ich.”
“Du solltest sie anrufen. Wäre doch eine perfekte Gelegenheit”, sagte Lea leise, als sie seinen nachdenklichen Ausdruck sah.
Tomas nickte langsam, als sie das Geschäft verließen. “Vielleicht tue ich das.”
Zurück in der Pension packte Lea ihre Sachen. Sie war nicht bereit, schon zu gehen, aber die Realität außerhalb dieser kleinen Auszeit rief.
Frau Adler verabschiedete sie mit einem wissenden Lächeln, das mehr sagte, als Worte es gekonnt hätten. “Kommen Sie gut nach Hause.”
Lea ging ein letztes Mal zum Fenster und blickte auf den Weihnachtsmarkt, der im strahlenden Morgenlicht lag. Sie spürte die Kälte auf ihrer Haut und die Wärme in ihrem Herzen.
“Wir sehen uns wieder, hoffe ich.” Tomas’ Stimme hinter ihr ließ sie lächeln.
“Ja”, antwortete sie weich. “Bis dahin.”
Lea stieg die Treppe zur Straße hinunter, bereit für alles, was kam, mit einem neuen, warmen Gefühl der Verbundenheit, das sie durch den Winter begleiten würde.




