Abschied im Posteingang
Das Klacken der alten Wanduhr hallte leise durch das leere Büro, eine monotone Melodie, die im Takt der gleichmäßig tropfenden Heizungsventile spielte. Sven war allein, sein Blick wanderte von der flimmernden Monitoranzeige zu den schneebedeckten Dächern, die sich im ruhigen Rhythmus der Nachtlichter wiegten. Draußen war es dunkel, die Stadt erstrahlte in einem matten Glanz, eingefroren in einem Wintermärchen aus Licht und Schatten.
Die Uhr zeigte fast Mitternacht, und doch hatte Sven noch keine Eile, nach Hause zu gehen. Er saß in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Fingerspitzen aneinandergelegt, während er die letzten E-Mails des Tages überflog. Ein kurzer Abschiedsblick zu Werbemails und Memoiren, die auf dem Weg in den digitalen Papierkorb waren.
Doch dann fiel sein Blick auf eine ungelesene Nachricht. Absender: Chef Roland. Betreff: „Eine letzte Mail.“ Svens Herz schlug ein wenig schneller, als er auf die E-Mail klickte. Roland war ein Mentor und Freund gewesen, jemand, der mehr als nur Anweisungen und Aufgaben hinterlassen hatte. Ein Vorbild, das auf stille Weise durch seine Taten geführt hatte.
Svans Augen huschten über den Text. Rolands Worte waren ruhig und fundiert, durchzogen von einem leisen Humor, der selbst in der formellsten E-Mail nicht fehlte. Sven spürte, wie ihn ein vertrautes Gefühl der Vertrautheit umzog, das ihm in der letzten Zeit oft fehlte.
„Sven,“ begann die Nachricht, „es ist Zeit, sich zu verabschieden. Eine Entscheidung, die schon länger in meinem Herzen reifte. Aber nun ist der Moment gekommen, einen neuen Weg zu gehen. Den letzten Jahre mit dir im Team haben mein Leben sehr bereichert. Es war mir eine Freude, mit so jemandem an meiner Seite arbeiten zu dürfen.“
Sven atmete tief ein, während seine Augen weiter durch die Mail wanderten. Er spürte den Winterwind, der durch die Fensterritzen kroch. Die Temperatur fiel unmerklich im Raum, als er zu einem weiteren Absatz kam:
„Vielleicht klingt das kitschig, aber die Spuren, die man hinterlässt, sind im Herzen anderer und nicht in der Excel-Liste. Erinnerungen, Sven, sind das wahre Erbe.“
Erneut blickte er nacht draußen, wo sich das sanfte Leuchten der Straßenlampen in dem gefrorenen Glitzern der Fensterscheiben spiegelte.
Mit einem leichten Schaudern griff Sven zu seiner Maus, öffnete das nächste Fenster und begann, eine Antwort zu tippen. Doch die Worte wollten nicht kommen. Wie sollte man Abschied nehmen von jemandem, dessen Präsenz so stark war, dass man sie selbst in der Abwesenheit spürte?
Plötzlich summte es in der stillen Luft – eine sanfte Vibration. Eine neue Nachricht. Diesmal von Mara. Sie war eine Kollegin, die seine Gedanken oft mit einem einfachen, getippten Satz erhellen konnte. Sein Herz machte einen kleinen Sprung. Ohne zu überlegen, öffnete er die Mail.
„Hey Sven, bist du noch im Büro? Ich habe gehört, dass Roland gegangen ist. Endlich ein Anlass, sich an deine Worte zu erinnern: ‘Wenn nicht jetzt, wann dann?’ Vielleicht könnten wir morgen endlich das nachholen, was oft zwischen Meetings und Memo vergessen wurde…“
Ein kleines Lächeln legte sich auf Svens Gesicht. Er tippte schnell eine Antwort:
„Mara, tatsächlich noch hier. Morgen klingt perfekt. Heute habe ich etwas Wichtiges gefunden, das ich nicht vergessen wollte. Wie wäre es mit einem Kaffee um 10?“
Sven schloss seinen Laptop und stand auf. Der Klang der Stille umgab ihn, als er die Lichter im Raum löschte. Mit einem letzten Blick auf die leeren Schreibtische verließ er das Büro, die kalte Luft des Flurs schlug ihm entgegen. Schritte hallten leise und wurden leiser im tristen Hallen des Korridors.
Als er auf die Straßen der Nacht hinaustrat, fühlte er die kühle Umarmung des Winters ihn willkommen heißen. Die Nacht war friedlich, und trotz der kühlen Brise spürte er eine seltsame Wärme in ihm aufsteigen, die nichts mit der Temperatur zu tun hatte. Es war die Erleichterung, die Erkenntnis, dass das Loslassen nicht immer bedeutet, etwas zu verlieren.
Er ging mit festen Schritten, die Nachtlichter der schlafenden Stadt führten seinen Weg nach Hause. Der Wind zischte leise, ein flüsternder Begleiter in dieser städtischen Stille.
Als Sven seine Straße erreichte, blickte er noch einmal zurück. Etwas in ihm hatte sich verändert. Die leere E-Mail war nun gefüllt, das Gewicht des Abschieds fühlte sich leichter an als erwartet. Er wusste, dass es nicht die Worte waren, sondern die geteilte Erinnerung, die ihn in dieser Nacht begleiten würde.
„Morgen dann“, murmelte er leise vor sich hin, während er die Haustür aufschloss und die angenehme Wärme seiner Wohnung ihn umfing. Die Nacht war noch jung, und die Erinnerungen, die er mit sich trug, würden ihm die kurzen Stunden bis zum Morgen versüßen.
Sven löschte das Licht und ließ sich in seine Decke fallen. Ein nachklingender Gedanke blieb, wie ein kleines Echo. Ein neuer Anfang wartete am Horizont und die Fragen, die noch unbeantwortet waren, schienen weniger wichtig. Manche Nachrichten kommen nie an – und bleiben doch.




