Akte Winterhafen
Die windgepeitschte Luft der Hafenstadt biss in die Haut von Ermittler Novak, als er von seinem Wagen ausstieg. Der Schneeregen verwandelte den Boden in einen rutschigen, grauen Matsch, der Geräusche schluckte und ihm ein mulmiges Gefühl in den Magen trieb. Die alten Lagerhallen, die sich an die Kais schmiegt, wirkten wie schlafende Riesen, deren Geheimnisse schneller flüsterten als die Wellen des sich daneben ausbreitenden Meeres.
Ria, die Journalistin, war schon da. Sie lehnte sich mit vor Kälte geröteten Wangen an eine der rostigen Türen. Novak nickte ihr zu, raunte halblaut, „Immer zur rechten Zeit, Ria?“
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte frech. „Und du immer zu spät, Novak.“ Ihre Augen funkelten trotz der finsteren Schatten, die die dichten Wolken warfen.
Ria hatte ihm die ersten Hinweise auf diesen Fall gebracht. Gerüchte um nächtliche Aktivität und schemenhafte Gestalten im Schutz der Dunkelheit. Die Akte Winterhafen, wie sie es salopp genannt hatte, klang wie aus einem Thriller gezogene Realität.
„Glaubst du, wir finden heute etwas?“ fragte Ria, während sie dem grauenhaften Wind trotzte. Novak zog die Schultern hoch. „Man kann nur hoffen. Aber ich schätze, heute Abend wird es noch brisanter.“
Ihr Weg führte sie an Kisten und Müllhaufen vorbei, ihre Lampen streiften über karge Details, alte Hinweisschilder, die von Geschichten längst vergangener Tage erzählten. Als sie die hinteren Speicheranlagen erreichten, machte Ria Halt. „Hörst du das?“ flüsterte sie.
Ein leises Rauschen, das rhythmische Klacken von entferntem Metall, kaum wahrnehmbar. Novak hielt inne, lauschte. „Wir sind nicht allein,“ murmelte er.
Sie drängten weiter vor, das Pfeifen des Windes übertönte ihre leisen Schritte. Die Feuchtigkeit kroch in ihre Kleidung, doch der Nebel umhüllte sie wie ein gnädiger Schleier, bis sie schließlich eine offene Tür ins Innere der Lagerhalle führte. Novak warf einen vorsichtigen Blick hinein.
Drinnen flimmerte das blasse Gelb eines Scheinwerfers durch das Halbdunkel. Drei Gestalten, in eine hitzige Diskussion vertieft, schienen nicht zu merken, dass sie beobachtet wurden. Ballen wurden rasch hin- und hergeschoben, Papier knitterte unter den Händen der Männer.
„Das muss es sein,“ flüsterte Ria aufgeregt. Novak zog die Stirn in Falten. „Und wir mittendrin.“
Die beiden zogen sich in den Schatten der Tür zurück, beobachteten aufmerksam. Novak überlegte fieberhaft die nächsten Schritte. Unmittelbare Konfrontation oder Vorsicht und Strategie? Doch es war zu spät, ein Geräusch hinter ihnen verriet sie.
Ein vierter Mann, ihnen bisher unbemerkt, stand im Schatten. „Wer, zum Teufel…?“ fragte er laut, und die anderen drehten sich ruckartig um. Novak versuchte, ruhig zu bleiben, griff nach seiner dienstlichen Autorität, während er sich langsam aufrichtete.
„Wir sollten gehen,“ flüsterte Ria, Panik schwang in ihrer Stimme mit. Aber Novak blieb fest. „Nein. Jetzt müssen wir reden.“
Es folgte ein zähes Wortgefecht, bei dem jeder sein Gesicht zu wahren suchte. Unerwartet verschwanden die Männer so rasch, wie sie gekommen waren, und ließen Novak und Ria mit der Leere der fortgetragenen Mysterien zurück.
„Das war knapp,“ keuchte Ria. „Ja,“ erwiderte Novak, „aber das hier wird nicht enden, bis wir alles aufgeklärt haben.“
Die Nacht zog sich, zäher als erwartet. Der Schneeregen verwandelte sich in ein unermüdliches Lied auf den welligen Dächern der Stadt. Ria holte ihr Notizbuch hervor und begann hastig, Details niederzuschreiben, während Novak schweigend den Horizont beobachtete. Ein neuer Tag war nicht mehr fern, und er wusste, dass die Arbeit erst begonnen hatte.
„Manchmal vergesse ich, warum wir das eigentlich tun,“ sagte Ria plötzlich. Novak lächelte schwach. „Weil wir es müssen, Ria. Es liegt in unserer Natur.“
Licht zu finden, selbst in den Schatten – eine Aufgabe, die Opfer forderte, aber auch Stärke verlieh. Und so standen sie da, starrten in den dichten Nebel dieser langen Nacht, bereit, weiterzuforschen, während der Schneeregen unaufhörlich fiel.




