Atem im Winterwald
Die Morgendämmerung legte einen glitzernden Schleier über den verschneiten Waldweg. Der weiße Teppich knirschte sanft unter Janas Stiefeln. Sie zog den Schal tiefer ins Gesicht, als der Wind ein wenig aufkam und ihr die Haare in die Stirn wehte.
Es war so still hier draußen, dass sie den Atem ihres Hundes Balu deutlich hörte. Der treue Begleiter schnüffelte neugierig an den kahlen Zweigen am Wegesrand, seine warme Schnauze hinterließ kleine Wolken in der kalten Luft.
Jana genoss die Einsamkeit. Der Weg, tief im Herzen des Waldes verborgen, war ein Geheimtipp, den sie von einer Freundin erfahren hatte. Ein Rückzugsort im Winter, wo der Lärm der Stadt sie nicht erreichen konnte.
Sie blieb stehen, schloss die Augen und zog die eisige Luft tief ein. Der Duft von Kiefern und frischem Schnee füllte ihre Lungen. Sie spürte, wie sich die Anspannung, die sie unbemerkt mit sich trug, langsam löste. Hier war sie frei von Terminen, frei von Verpflichtungen – nur sie, der Wald, und der weiche, beruhigende Rhythmus ihres Atems.
Ein kleiner Vogel zetrerte über ihr in den Zweigen. Balu spitzte die Ohren und sah zur Krone empor, als könnte der klangvolle Ruf die Magie dieses Morgens noch verstärken.
Jana dachte an die letzte Woche, an die unaufhörlichen E-Mails und den stetigen Strom von Nachrichten, die sie dazu gezwungen hatten, von einer Sache zur nächsten zu eilen. Hier draußen, in der Umarmung des Waldes, wirkte es wie ein weit entfernter Traum.
Sie öffnete die Augen und sah, wie die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume drangen und den Schnee in sanftem Goldtönen leuchten ließen. Der Anblick erfüllte sie mit einer tiefen, stillen Freude, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Sie ging weiter, ließ den Gedanken freien Lauf und erlaubte sich, ganz im Moment zu sein. Der Wald war wie ein lebendiger Organismus, die Kälte schärfte ihre Sinne, und der Tanz der Schatten auf dem gefrorenen Boden begleitete sie auf ihrem Weg.
Balu brachte einen kleinen Ast herbei und legte ihn ihr vor die Füße. Lächelnd warf Jana ihn und sah zu, wie der Hund eifrig hinter ihm herjagte, die Pfoten wirbelten Schnee auf, während er mit sichtlicher Freude seine Beute zurückbrachte.
In diesen kleinen Gesten, in der schlichten Schönheit der Natur, fand Jana jene Achtsamkeit, die ihr im hektischen Alltag oft fehlte. Nicht alles musste erfasst, analysiert oder in Effizienzberechnungen gepresst werden. Manchmal genügte ein Moment des Innehaltens, ein einfacher Atemzug, um die Welt wieder ins rechte Licht zu rücken.
Als Jana schließlich den Rückweg antrat, fühlte sie sich erneuert. Sie hatte keine großen Lösungen gefunden, keine entscheidenden Fragen beantwortet, aber ihre Gedanken hatten sich beruhigt, geordnet, wie von selbst.
Der Wald würde bleiben. Und sie wusste, dass sie zurückkehren konnte, wann immer die Welt sie zu verschlingen drohte. Ein Atemzug im Winterwald – mehr bräuchte es nie, um sich selbst zu erinnern, dass sie ein Teil von etwas Größerem war.




