Der Aufzug bleibt an Heiligabend stehen
Es war Heiligabend und das Bürohochhaus, das normalerweise von Menschen wimmelte, war beinahe menschenleer. Die Flure lagen still und die einzigen Geräusche kamen von den wenigen verbliebenen Angestellten, die noch eilends ihre letzten Aufgaben erledigten. Lukas wusste genau, dass seine Chefin, Jana, noch im Gebäude war. Sie hatte sich in ihrem Büro eingeigelt, um die Jahresbilanz zu korrigieren, während alle anderen schon die Heimreise angetreten hatten.
Lukas selbst hätte das Gebäude gerne schon längst verlassen, doch er hatte ebenfalls noch Arbeit zu erledigen. Die Temperaturen außerhalb der auf Hochglanz polierten Fenster fielen rasch unter den Gefrierpunkt und ein leichter Schneefall überzog die Straßen, sodass diese wie ein weißer Teppich aussahen.
Gegen zehn Uhr abends hörte Lukas aus dem Korridor das unverkennbare Geräusch eines Rollwagens. Petar, der Hausmeister, zog langsam an ihm vorbei. Lukas beschloss, seine Unterschriftsmappe zum Empfang zu bringen. Er folgte Petar zum Aufzug.
“Lukas!”, rief Jana plötzlich aus dem Flur, ihre Schritte hallten durch die Stille. “Noch da?”
Er drehte sich um, stellte sicher, dass sein Lächeln professionell wirkte. “Ja, wollte gerade gehen. Und Sie? Das ist viel zu spät.”
Jana zuckte mit den Schultern. “Die Arbeit wird nicht weniger. Lohnt sich nur nicht, jetzt nach Hause zu hetzen.”
Kaum hatten sie die Aufzugstüren erreicht, schnarrte ein schrilles Summen und der Aufzug ruckelte merklich. Ein kurzes Lächeln zwischen Petar, der jetzt ebenfalls dazu gestoßen war, und Lukas war das letzte, bevor die Türen sich schlossen.
Der Aufzug setzte sich träge in Bewegung, stieg ein paar Stockwerke, bevor er mit einem dumpfen Geräusch in der Dunkelheit stehen blieb.
“Na toll”, murmelte Jana, während sie auf den Knopf der Sprechanlage drückte. Keine Antwort. Petar versuchte, das System neu zu starten, doch nichts tat sich.
“Keine Sorge, ich werde das schon hinbekommen”, sagte Petar leise, während er auf sein kleines Notfallwerkzeug-Set deutete. Doch es kam keine Rückmeldung und der Aufzug blieb dunkel.
Jana lehnte sich zur Wand und stieß ein entnervtes Seufzen aus. “Das kann doch nicht wahr sein. Ausgerechnet jetzt, an Heiligabend.”
Lukas lachte nervös. “Vielleicht wollen uns die Geister der Weihnacht zu einer Besinnungspause zwingen.”
Die Bemerkung brachte ein unerwartetes Lächeln auf Janas Gesicht. “Wäre möglich, nicht wahr?”
Das Schweigen fühlte sich stickig an, aber es ließ jedem der drei Raum für eigene Gedanken. Petar öffnete gemächlich die Abdeckung und startete, das manuelle System durchzuprobieren. Lukas setzte sich schließlich neben Jana auf den Boden.
“Es tut mir leid, dass ich so verplant bin”, begann Lukas leise. “Sie sind… anstrengend manchmal, aber ich verstehe Ihren Druck.”
Jana hob den Blick. “Anstrengend, ja?” Sie ließ ihre Hand durch die Haare gleiten. “Weißt du, was es heißt, als Frau in dieser Branche zu bestehen?”
Lukas nickte, wenn auch zögerlich. “Vielleicht nicht in vollem Maße. Aber im Team könnten wir mehr erreichen, wenn wir weniger… äh, antagonistisch wären.”
Petar wandte sich leicht ihnen zu. “Manchmal sehen Menschen nur Rollen und vergessen die Menschen dahinter. Heute, mehr denn je.”
Der Aufzug machte ein kleines, hoffnungsvolles Geräusch, und das Licht flackerte auf.
“Seht ihr, Gespräche bringen das Wunder eben näher”, schmunzelte Petar und drückte fest die Steuerung, ohne den Erfolg sofort liegen zu lassen.
Aber dann blieb es wieder stille. Lukas und Jana lehnten sich zurück, unterhielten sich weiter. Es folgte eine ehrliche, wenn auch erschöpfte Auseinandersetzung über Erwartungen, Druck, und schließlich auch ein bisschen über Weihnachten.
Als der Aufzug plötzlich wieder mit seinem vertrauten Brummen ansprang und sich die Türen mit einem gleichmäßigen Ruck öffneten, wirkte die leere Lobby vor ihnen wie eine unbekannte Welt. Draußen zeichnete sich der erste Schimmer von einem zunehmend goldenen Horizont ab.
“Nun,”, schloss Lukas nachdenklich, die Augen auf den anbrechenden Morgen gerichtet. “Vielleicht war das der beste Weihnachtsabend, den ich je hatte.”
Jana lächelte ebenfalls, während sie hinausging. “Und immer daran denken, auch Chefs sind nur Menschen.”
Petar schob ihnen höflich die Türen auf. “Vom Hausmeister über den Mitarbeiter bis zum Chef, wir alle sitzen im selben Aufzug des Lebens.”
Gemeinsam verließen sie das Gebäude, jeder im Bewusstsein, dass etwas Fundamentales verschoben worden war. Die Schneeflocken tanzten im Licht der Straßenlaternen, als der Stadt ein neuer, friedlicher Weihnachtstag dämmerte.




