Der Kaffee am Fluss
Helene zog ihren Mantel fester um sich, obwohl die morgendliche Frühlingssonne schon ihre ersten warmen Strahlen über die Flusspromenade warf. Vogelgezwitscher untermalte das Geräusch von leise plätscherndem Wasser, während sie sich dem vertrauten Kiosk näherte, der mitten unter den noch kahlen Bäumen stand. Von hier aus konnte man die große Stahlbrücke sehen, deren Schatten sich majestätisch auf den Fluss legten.
Sie mochte diesen Ort, besonders an den Wochenenden, wenn sie mit ihrem dampfenden Becher Kaffee in der Hand dem hektischen Rhythmus der Arbeit entkam. Heute jedoch durchbrach ein ungewohntes Bild die vertraute Szenerie.
Marco stand am Kiosk und bestellte gerade. Helene zögerte. Sie hatten sich seit Jahren nicht gesehen, doch die Erinnerungen lagen dicht unter der Oberfläche. Neugierig und nervös zugleich, trat sie näher.
“Helene?” Marcos Stimme klang überrascht, als er sich zu ihr umdrehte. Seine blauen Augen musterten sie neugierig. “Lange nicht mehr gesehen.”
Helene lächelte unsicher. “Ja, ziemlich lange. Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen.”
“Ich bin im Büro ganz in der Nähe. Da dachte ich, ich schaue mal, was sich hier verändert hat.” Marco reichte ihr einen Becher Kaffee. “Aufs Haus?”
Helene lachte leise. “Danke. Ich habe gehört, ihre Röstung soll fantastisch sein.”
Sie setzten sich auf eine der Bänke mit Blick auf den Fluss. Die Stille zwischen ihnen war kurz, dann füllte sie sich natürlich mit Gesprächsfäden, die wie Spinnweben gebildet und verdrängt wurden.
“Wie läuft es bei dir? Arbeit, Leben?” fragte Marco nach einer Weile, die Tasse gegen den kalten Frühmorgenwind schützend in seinen Händen haltend.
Helene überlegte kurz. “Ganz gut, denke ich. Manchmal ein bisschen einsam, aber ich komme klar. Und du?”
Marco lehnte sich zurück, die Stahlkonstruktion der Brücke im Hintergrund wie eine Metapher für die Distanz, die zwischen ihnen gelegen hatte. “Ähnlich, wenn ich ehrlich bin. Nach der letzten Trennung habe ich mich mehr auf die Arbeit konzentriert. Ironisch, nicht wahr?”
Helene nickte verständnisvoll. “Ja, manchmal ist das einfacher. Die Arbeit lenkt ab.” Sie wusste, wie er sich fühlte, und das brachte sie näher an den Rand einer Erkenntnis, die sie lange verdrängt hatte: Nähe erforderte Zeit und Geduld.
Der Morgen schritt fort, die Sonne stand nun höher am Himmel und brachte ihr Licht diffus durch die Äste. Helene und Marco blieben sitzen, sprachen über Vergangenes, bis die Worte versiegten und nur noch das befreite Atmen den Raum zwischen ihnen füllte.
“Vielleicht sollte ich öfter hier vorbeischauen,” sagte Marco, als er schließlich aufstand, die leere Kaffeetasse im Mülleimer versenkte. Helene lächelte nachdenklich.
“Ja, das wäre schön. Ich bin sonntags meistens hier. Immer da, wo der Kaffee frisch ist.” Sie erhob sich ebenso, die klare Luft tief in sich aufsaugend.
Während sie sich verabschiedeten, fühlte Helene eine unerwartete Ruhe in sich wachsen, eine Vorfreude auf das Unerwartete, das sich manchmal zwischen Kaffeebecher und Zufall entspannen konnte. Ihre Schritte entlang der Promenade waren leicht, befreit von der Last des Unausgesprochenen.
Hinter ihr verklang das Geräusch der Kaffeetassen, das knarzende Geräusch der Kiosktür, während Marco den Frühling mit in sein Leben trug. Ein kurzer Moment der Erinnerung kombiniert mit der leisen Hoffnung, dass ein guter Kaffee eben Zeit braucht.




