Der Regen macht uns leiser
Der Sommersturm kam plötzlich und unerwartet. Jale stand mitten auf dem Marktplatz, als die ersten schweren Tropfen die warme Luft zerteilten. Die alten Pflastersteine spiegelten das donnernde Grau des Himmels. Rasch hechtete sie unter die Arkaden, den Markständen gegenüber, die längst verwaist im Regen standen.
Unter dem steinernen Dach der Arkaden war es kühl und dunkel. Die Luft war erfüllt vom plätschernden Rhythmus des Regens, der auf die Stadt herabfiel. In diesem leisen Zwielicht bemerkte sie eine Gestalt an der anderen Seite der Arkade. Ein junger Mann, der ebenfalls den Regen beobachtete, schien erst verwundert, dann begrüßte er sie mit einem schüchternen Lächeln.
„Hallo“, sagte er mit einem leisen Ton in der Stimme, der kaum den Regen übertönte.
„Hallo“, erwiderte Jale, unsicher, ob sie weitergehen oder das Gespräch fortsetzen sollte. Doch der Regen legte seine Hand beruhigend auf die Szene; nichts schien zu eilen.
Omid, wie sich der Fremde später vorstellte, war durch die Stadt gelaufen, in Gedanken vertieft und überrascht von dem plötzlichen Schauer. So fanden sie sich gemeinsam hier wieder – jeder ein Fragment seines eigenen Lebens, jetzt für einen Augenblick aus der Zeit herausgelöst.
„Das ist ziemlich unerwartet,“ bemerkte Jale und deutete auf den Regenvorhang, der die äußere Welt abschirmte, aber zugleich auch schützte.
„Ja, irgendwie schön, nicht wahr?“ Er lehnte sich an die Säule neben ihm und beobachtete die dichten Tropfen, die wie ein unermüdliches Orchester auf die Steine klatschten.
Der Regen hatte eine beruhigende Wirkung auf Jale. Er schien das Treiben der Stadt zu dämpfen, die Hast und das Getöse des Tages schluckend. Unter diesem Dach war es, als könnten die Uhren für einen Augenblick stillstehen.
„Ich mag es, wie der Regen alles leiser macht,“ sagte sie leise. „Als würde er die Welt in Watte packen.“
Omid nickte. „Er hat eine Art, alles in Perspektive zu rücken. Plötzlich wird nichts mehr eilig, nur das Hier und Jetzt zählt.“
Sie sprachen lange, über ihre Leben, die Pläne, die sie für die Zukunft hatten und die Träume, die sie noch verfolgten. Die Arkaden schienen ihnen dabei zuzuhören, geduldige Zeugen einer unerwarteten Begegnung.
Der Regen ließ allmählich nach, seine Tropfen seltener und leiser. Ein strahlendes Blau brach durch die Wolken und warf goldene Streifen auf das nasse Pflaster.
„Der Regen zieht weiter“, sagte Omid, ein wenig bedauernd. „Es war schön, hier zu plaudern.“
Jale nickte. „Vielleicht passiert das öfter, als man denkt. Dass man nur dem Moment Raum geben muss.“ Sie lächelte und wusste, dass sie den Rest des Weges im Regen alleine gehen würde, doch das störte sie nicht mehr.
„Vielleicht sehen wir uns erneut hier, beim nächsten Regen?“ fragte sie schließlich, ihre Stimme leicht und offen.
Omid antwortete nicht sofort, sein Blick wanderte über den sogartigen Regenbogen, der sich hoch am Himmel über die Stadt spannte. Dann lächelte er. „Vielleicht. Oder vielleicht auch, wenn die Sonne scheint.“
Sie verabschiedeten sich, und als Jale schließlich auf die leeren Straßen hinaustrat, fühlte sie sich nicht mehr allein. Der Regen hatte seine Magie gewirkt – leise und sanft, wie eine versöhnliche Umarmung der Welt.




