Der Sternenschlitten von Silberruh
Im kleinen Bergdorf Silberruh war die Welt in eine dicke Decke aus Schnee gehüllt. Mit jedem Atemzug sah Nele kleine Wölkchen vor ihrem Gesicht aufsteigen. Die klare, kühle Nachtluft war erfüllt von einem Hauch von Tannennadeln und dem sanften Knistern der vielen kleinen Lichter, die an den Fenstern der Holzhäuser funkelten.
Lange hatte sich Nele nach einer solchen Nacht gesehnt, und heute schien sie erfüllt von der Magie der Weihnachtszeit. Nele zog ihren roten Schal fester um den Hals und trat aus der warmen Stube in die sternenklare Winternacht hinaus.
„Bist du bereit?“ fragte eine sanfte, fast musikalische Stimme hinter ihr. Es war Lyss, der Sternenbote. Mit funkelnden Augen und einem Umhang aus Nachthimmel stand er vor dem alten Schlitten. Dessen Kufen schimmerten silbern im Mondlicht, als ob sie aus purem Sternenstaub gemacht wären.
Nele nickte aufgeregt. „Ich bin bereit, Lyss! Aber wird die Ziege Sturm auch mitkommen?“
Kaum hatte sie das gesagt, kam Sturm, die kleine, flauschige Ziege, auf kurzen Beinen durch den Schnee getapst. Ihr Glockenton klang wie ein kleines, fröhliches Lied in der Winterstille.
„Natürlich kommt Sturm mit“, lächelte Lyss, „sie kennt die Berge und die Geheimnisse des Himmels besser als jeder andere.“
Zusammen stiegen sie auf den Schlitten. Kaum hatten sie es sich bequem gemacht, da zischte ein leises Surren durch die Luft, und die Sterne über ihnen begannen zu tanzen. Langsam erhob sich der Schlitten in die Lüfte.
Nele fühlte einen warmen Schauer der Vorfreude, als der kalte Wind durch ihr Haar strich und Millionen funkelnder Sterne an ihnen vorbeizogen. Von oben bot sich ein traumhafter Blick auf die verschneiten Täler und die hell erleuchteten Fenster der alten Hütten.
„Wo fliegen wir hin?“ flüsterte Nele begeistert.
„Wohin uns die Sterne führen“, antwortete Lyss geheimnisvoll und zeigte auf eine besonders helle Sternschnuppe, die quer über den Himmel eilte.
Der Schlitten glitt durch das glitzernde Firmament, und der Schnee unter ihnen wirkte weich wie Wolkengestöber. Nele konnte das Knirschen der Kufen über die unsichtbaren Wege fast fühlen.
Plötzlich rief Sturm fröhlich und zog mit ihren kleinen Hufen am Zaumzeug. „Schaut, da unten ist ein besonderer Sternennestbaum!“
Neugierig lenkte Lyss den Schlitten sanft nach unten und landete in einem verschneiten Wäldchen, geheimnisvoll umleuchtet von einem warmen, schimmernden Licht. Am Fuße eines prächtigen Tannenbaums ruhten kleine, silberne Wesen, so zart und lebendig wie die Sterne selbst.
„Ist das ein Sternennest?“ rief Nele erstaunt.
„Ja“, antwortete Lyss, „ein Weihnachtsgeheimnis, von dem nur wenige wissen.“
Nele trat vorsichtig näher und spürte eine tiefgehende Ruhe und Geborgenheit in sich aufsteigen. Die Luft war erfüllt von einem himmlischen Klang, der nur in ihren Gedanken zu existieren schien.
„Jeder von uns hat Wünsche im Herzen“, sagte Lyss leise, „manchmal erfüllen sie sich anders, als wir es erwarten.“
Mit einem Seufzen blickte Nele zu den funkelnden Sternen auf. Ein Gefühl von Dankbarkeit durchströmte sie. Dann war es Zeit für die Rückfahrt, und der Schlitten hob erneut sanft ab.
Als sie wieder zu Hause waren, stand Nele eine Weile in der winterlichen Stille. Das Lachen von Sturm verklang, und Lyss verschwand mit einem letzten, liebevollen Lächeln in der Dunkelheit.
Doch zuvor schenkte er Nele einen schimmernden Stern, klein, doch strahlend warm. „Dieser soll deine Träume erhellen“, sagte er zum Abschied. Nele hielt ihn fest, das Herz voller Freude und Staunen, während sie zurück ins Haus ging.
In dieser Nacht schlief Nele schnell ein, eingehüllt in die beruhigende Erkenntnis, dass Wunder oft genau dort zu finden sind, wo wir sie am wenigsten erwarten. Und dann segelte sie weiter, durch Traum und fantastische Sternennächte, die noch viel zu erzählen hatten.




