Der Streit um den größten Schneemann
Es war ein Winterabend, an dem der Schnee weich und leise im Innenhof des kleinen Dorfs niederging. Die weiße Decke glitzerte unter den Lichtern, die von den Fenstern der Holzhütten fielen. Timo, ein Junge mit einem roten Schal, der fast so lang war wie er selbst, stapfte tief im Schnee herum. ‘Ich werde heute den größten Schneemann bauen, den dieses Dorf je gesehen hat!’ erklärte er entschlossen.
Gleich nebenan, beim Spielplatz, kniete Leyla im Schnee und rollte eine große Schneekugel vor sich her. ‘Das werden wir ja sehen,’ rief sie lachend zurück. Leyla trug eine gelbe Mütze, die wie ein kleiner Sonnenstrahl im frostigen Winter leuchtete.
Der Wettstreit begann. Timo lief hin und her, seine Stiefel knackten bei jedem Schritt auf dem frischen Schnee. Leyla ließ ihre Hände geschickt durch den Schnee gleiten und formte Kugel um Kugel. Auch die Vögel schauten neugierig von den kahlen Ästen zu – ihre Piepser leise wie Glöckchen in der kalten Luft.
Mit jedem hochgeworfenen Schnee wehte ein leichter Duft von Tannenzweigen herüber. Aus der nahegelegenen Holzhütte stieg der Rauch aus dem Kamin in den Himmel und erinnerte an warmes Holz und Geborgenheit.
Plötzlich stoppten beide Kinder. ‘Mein Schneemann wird größer!’ sagte Timo und stemmte die Hände in die Hüften.
‘Nein, meiner!’, widersprach Leyla und zog eine Grimasse.
Der erste Streit war im Gange. Doch gerade als der Wind bissiger wurde und die Nase rot färbte, öffnete sich die Tür der Holzhütte, und Oma Rosa trat heraus. Sie war mit einem dicken, gestrickten Schal eingewickelt, den sie selbst gemacht hatte.
‘Was ist hier los, ihr Schneeflöckchen?’, fragte sie mit einem warmen Lächeln. Ihre Stimme klang herzlich, als würde sie ein Lachen verbergen.
‘Wir bauen den größten Schneemann’, erklärten Timo und Leyla gleichzeitig und sahen erbost aufeinander.
Oma Rosa schmunzelte, ihre Augen leuchteten vor Freude. ‘Warum baut ihr nicht zusammen einen Schneemann?’ schlug sie vor. ‘Gemeinsam könntet ihr einen bauen, der so groß ist, dass er drüber schauen kann, was hinter dem Zaun liegt.’
Timo und Leyla sahen sich an. ‘Das ist eine tolle Idee’, stimmte Timo zu und legte seine Hand auf Leylas Schulter. Seine Wangen waren gerötet, aber er strahlte trotz der Kälte. ‘Ja!’, rief Leyla und klatschte in die Hände. Schnee flirrte um sie herum wie kleine Sterne.
Gemeinsam begannen sie, ihre Schneemänner zu vereinen. Der Innenhof war erfüllt von Gelächter und Freudenschreien. Kugel für Kugel hoben sie den frisch gefallenen Schnee und türmten ihn immer weiter nach oben.
Oma Rosa brachte eine Karotte für die Nase, zwei glänzende Knöpfe als Augen und einen alten Topf als Hut. ‘Perfekt!’, rief sie aus und bewunderte das imposante Werk.
Als der Schneemann fertig war, erhoben sich die Kinder stolz und betrachteten ihr Kunstwerk. Er stand majestätisch im Hof, während der Schnee sanft weiter fiel und ihn wie mit einer Decke zudeckte. Die Vögel zwitscherten ein frohes Lied, als würde der Winter eine Geschichte der Freundschaft erzählen.
Timo und Leyla setzten sich neben Oma Rosa und genossen die friedliche Stille des Abends. Ihr Streit war vergessen, und eine neue, unvergessliche Erinnerung war geschaffen worden.
‘Zusammen haben wir etwas Tolles geschaffen’, murmelte Leyla lächelnd und lehnte sich an Timo.
Als die Schneeflocken zart auf sie niederfielen, umhüllte ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit die drei. Der Winter war kalt, doch ihr Herz war es nicht. Gemeinsam waren sie stark, und ihre Freundschaft leuchtete heller als der silberne Schnee.
Die Nacht schritt weiter, und nur der Schneemann blieb als Zeuge des wundervollen Abends stehen, stolz und groß.




