Der Wolf, der leise singen wollte
Es war eine klare Winterabendnacht, als der Vollmond sein silbernes Licht über den verschneiten Bergwald goss. Zwischen den stattlichen Tannen lag eine friedliche Stille. Die Welt schien unter einer flauschigen Schneedecke zu ruhen.
Inmitten dieses Zaubers stand Wolf Rano am Rand der Schlucht. Sein Atem formte in der kalten Luft kleine weiße Wölkchen. Doch diesmal war es nicht der Frost, der ihm ein leichtes Zittern in die Beine trieb. Es war etwas anderes.
Rano wollte singen.
Neugierige Ohren vernahmen schon lange jene sanften Melodien, die er hin und wieder in der Dunkelheit summte. Es waren Eule Sina und Hase Miro, die ihre Mäntel aus Federn und Fell eng aneinanderlegten, um ihn vor Kälte zu schützen.
„Warum singst du nicht laut, Rano?“ fragte Miro, während er versuchte, seine zitternden Ohren unter Kontrolle zu bringen.
„Ich will nicht, dass man mich lacht“, gestand Rano mit einem leichten Winseln in der Stimme. „Ein Wolf sollte heulen. Nicht singen.“
Sina, die weise Eule, schmunzelte sanft. „Manchmal ist genau das, was niemand erwartet, das Schönste von allem“, meinte sie und klapperte gelenkig mit ihren Flügeln. Die Schneeflocken tanzten belustigt im Mondlicht.
Rano blickte hinauf zum sternenklaren Himmel. Die Sterne zwinkerten ihm aufmunternd zu, als ob sie ihm zuflüsterten, dass sie ihm ihr Gehör schenkten. Seine Brust hob sich, und ein feines Zittern durchzog seinen Pelz, als er schließlich die ersten Töne sang.
Seine Stimme war ein sanfter Klang, voller Zärtlichkeit und Mut, der sich mühelos durch die starren Bäume schlängelte. Der Wind hielt inne und lauschte, und von den tiefen Schatten der Schlucht hallte ein Echo zurück, das selbst die Berge umarmte.
Miro klopfte freudig mit den Hinterpfoten, während Sina ihren Kopf durchdacht neigte. „Die Welt braucht mehr solcher Lieder, Rano“, sagte sie mit einem Lächeln, das Wärme in die kalte Nacht brachte.
Während Rano sang, schlossen die Freunde ihre Augen und ließen sich von der Melodie tragen. Gemeinsam fühlten sie die sanften Schwingungen der Töne, die mit dem Schnee spielten und den Wald mit einem aktiven Flüstern des Winterwindes füllten.
Die Zeit schien stehen zu bleiben. Irgendwo weit entfernt bellte ein Fuchs, aber der Klang verschwamm in der zauberhaften Musik, die von Herzen kam. Rano’s Mut wuchs mit jedem gesungenen Vers, bis er schließlich seine letzte Note erklingen ließ.
Stille kehrte ein. Doch es fühlte sich nicht wie ein Ende an. Es war der Beginn von etwas Wunderschönem.
„Ich wusste gar nicht, dass unsere Schlucht solch ein wunderbares Echo hat“, bemerkte Miro und sah zu Sina hinüber.
„Vielleicht haben wir es einfach nicht gehört, weil wir nicht hingehört haben“, antwortete die kluge Eule.
Der Mond stand hoch über ihnen und tauchte die Welt in ein weiches, beruhigendes Licht. Wolf Rano legte sich in den Schnee und spürte die Wärme, die nicht nur von den Sternen, sondern von seinen Freunden ausging.
„Das war wunderschön“, flüsterte Miro, als er sich an Rano kuschelte. Sina ließ ihre Flügel schützend über die beiden ausbreiten, und Rano seufzte zufrieden.
Die Nacht verging, während das Lied des Wolfes nachklang, und in dieser ruhigen Dunkelheit fanden die drei Freunde Geborgenheit. Der Schnee fiel leise und mischte sich mit ihren Träumen. Eingehüllt in Harmonie und Mut, schliefen sie gemeinsam unter dem glitzernden Mondschein ein. Der Winterwind summte ganz leise eine vertraute Melodie.
Und wenn man genau hinhörte, konnte man im Flüstern des Waldes die sanften Klänge eines wolfsäligen Liedes vernehmen. Ein Lied, das Herz und Wald erfüllte und Freunde noch enger zusammenführte.




