Die Brücke aus Kreide
Es war ein lauer Frühlingsmorgen. Auf dem Schulhof glänzten die Pfützen wie kleine Seen, in denen sich der Himmel spiegelte. Jara und ihr bester Freund Ibo standen mit ihren Rucksäcken in der Hand am Rand des Pausenhofs. Die Sonne blitzte durch die Wolken und der Duft von nassem Gras hing in der Luft.
«Lass uns einen Kreideparcours machen», schlug Jara vor und kramte bunte Kreidestücke aus ihrem Rucksack. Ibo nickte begeistert. «Wie wäre es mit einer großen Brücke über die Pfützen?», ergänzte er.
Bald schon war der Schulhof erfüllt von bunten Linien und Formen. Jara malte vorsichtig eine Reihe großer Kreiskreise und verzierte sie mit Blumenmustern, während Ibo eine lange Zickzacklinie aus gelber Kreide zog.
Ein paar Kinder versammelten sich neugierig um die beiden, beobachteten und trauten sich nicht zu stören. Die frische Luft war erfüllt vom Geräusch kreidiger Striche über den Boden.
Doch plötzlich begann ein leichter Nieselregen, der die kleinen Künstler überraschte. «Oh nein!», rief Jara enttäuscht, als die Kreidefarben zu verlaufen begannen. Ibo seufzte. Seine Zickzacklinien verschwanden langsam in der nassen Oberfläche.
Da kam Frau Sander, ihre Klassenlehrerin, über den Hof geschlendert. «Was für ein wunderschöner Parcours», sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. «Schade, dass der Regen euch erwischt hat. Aber wisst ihr was? Vielleicht wird das Wasser eure Kunst in etwas Magisches verwandeln.»
Jara und Ibo sahen einander an. Da kam ihnen eine neue Idee. «Was, wenn wir eine Brücke aus Farben bauen?», schlug Ibo vor und zeigte auf die zerlaufenen Kreidelinien.
Gemeinsam fingen sie an, noch mehr Kreidekreise in die Pfützen zu malen, ließen sie ineinander übergehen, als würde eine Brücke über das Wasser führen. Das Regenwasser mischte die Farben sanft, und bald erschien eine schimmernde Brücke im Regenbogenmuster.
Die Kinder, die zusahen, begannen ebenfalls, um die Pfützen zu malen, und schon bald war der ganze Schulhof ein lebendiges Meer aus Farben. Der Regen hörte auf, und überall glitzerten die sonnendurchfluteten Pfützen.
Frau Sander trat zu ihnen und betrachtete die farbenfrohe Brücke beeindruckt. «Ihr habt etwas Wunderschönes geschaffen. Eine Brücke aus Kreide, die nur ihr zusammen bauen konntet.»
Jara und Ibo lächelten stolz und fühlten eine warme Verbundenheit mit ihren Freunden um sie herum. «Wir sollten das öfter machen», sagte Jara und drückte Ibos Hand.
Ein helles Sonnenlicht brach durch die letzten Regenwolken, und mit einem freudigen Lachen liefen die Kinder über ihren selbst erschaffenen, farbenfrohen Pfad.
Als die Glocke zur letzten Stunde rief, war der Schulhof still, die Pfützen glühten vor buntem Licht. Die Kinder liefen in die Schule, erfüllt von der stillen Freude dieser gemeinsamen Kreation.
Jara drehte sich an der Tür noch einmal um. «Weißt du, Ibo?», sagte sie leise. «Ich glaube, Kreide kann wirklich Brücken bauen.»
Zusammen gingen sie zurück in ihr Klassenzimmer, die bunten Flecken an den Fingern hinterließen in der Luft den Duft von Frühlingsregen und Kreide. Da war diese besondere Geborgenheit, die sie mit in ihren Traum nehmen würden.




