Die Liste am Kühlschrank
Die Küche war in den warmen Tönen des frühen Frühlingslichts getaucht, das durch das halbgeöffnete Fenster schien. Eine sanfte Brise ließ die Spitzenvorhänge leicht tanzen, während der Duft frisch gebrühten Kaffees den Raum erfüllte.
Sarah stand barfuß auf den kühlen Fliesen, ihr Blick ruhte auf der Kühlschranktür. Zahlreiche bunte Haftnotizen und ein handgezeichneter Wochenplan überzogen die Tür. Diese Schriftsammlung war mehr als ein einfacher Plan; sie war eine Landkarte für ihre Tage, eine Erinnerung an ihr hektisches Leben.
Sie nahm eine Tasse aus dem Schrank, goss sich Kaffee ein und trat einen Schritt näher. Jede Notiz war eine Verpflichtung: Meetings, Arzttermine, Einkäufe. Doch eine neue Reihe von Notizen fiel ihr auf, die sie in einer stillen Stunde hinzugefügt hatte. Mit großen Buchstaben stand da: „Ruhepause“, „Zeit für mich“, „Spazieren gehen“.
Sarah lächelte schwach. Vor einer Woche hatte sie, angetrieben von der Erschöpfung eines hektischen Arbeitslebens, beschlossen, bewusste Pausen einzuplanen. Diese kleinen Momente waren ihr wichtig geworden. Aber die Kunst des Nein-Sagens war neu für sie.
Während sie die Liste durchlas, streifte ihr Blick einen Gedanken, den sie in der letzten Nacht aufgeschrieben hatte: „Nein sagen ist auch ein Plan.“ Es war die einfache, befreiende Erkenntnis, die sie gesucht hatte. Ihre Grenzen zu wahren bedeutete nicht Versagen, sondern den Schutz ihrer eigenen Energie.
Die Stimmen ihrer Kollegen hallten in ihrem Kopf. “Sarah, kannst du das bis morgen erledigen?”, “Sarah, wir brauchen dich in diesem neuen Projekt.” Die immer gleiche Melodie ergab jetzt plötzlich einen anderen Klang, einen, den sie ändern konnte.
Als sie den dampfenden Kaffee an ihren Lippen spürte, erklang das dumpfe Geräusch des Postboten, der den Briefkasten bediente. Sofort spielte sie die bevorstehende Woche im Kopf durch. Alles fühlte sich anders an, die Liste war nicht mehr nur ein Erinnerungshilfsmittel, sondern ein Wegweiser zu einem vollständigeren, ausgeglicheneren Leben.
Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit ihrer Freundin Elena: “Du kannst nicht allen helfen, wenn du dir selbst nicht hilfst, Sarah.” Wie eine weise Melodie hallte der Satz durch ihre Gedanken. Heute, während der morgendliche Sonnenschein den Raum erhellte, fühlte sich dieser Gedanke weniger wie ein Ratschlag an und mehr wie eine Wahrheit, auf die sie bauen konnte.
Langsam, einen kleinen Bissen nach dem anderen, setzte sie sich an den Tisch, die Fensterbank drückte an ihren Rücken, ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme breitet sich aus. Die morgendliche Ruhe war erfrischend wie die kühle Brise bei offenem Fenster. In diesem Augenblick tat sich eine Stille auf, die sie wie ein wohltuender Mantel umschloss.
“Nein ist auch ein Plan”, flüsterte sie noch einmal, fast genießend, wie ein kleiner, neugefundener Schatz.
Die nächsten Minuten füllte sie den neuen Platz mit bewussten Entscheidungen. Ein Anruf auf dem Mobiltelefon ließ den vertrauten Namen Paul aufleuchten. Er war ein guter Freund, aber auch ein erbitterter Zeitfresser. Normalerweise wäre sie weich geworden bei der Aussicht eines Kaffeedates, doch heute entschloss sie, ihm freundlich aber bestimmt abzusagen.
Die Antwort kam schnell: “Verstehe ich, Sarah. Lass uns nächste Woche sprechen.”
Das Signal der Akzeptanz fühlte sich besser an als erwartet. Der Gedanke, nicht bei jeder Gelegenheit ja sagen zu müssen, öffnete neue Räume in ihrem Tagesablauf.
Endlich bereitete sie sich innerlich auf den Arbeitstag vor, bewusst und reflektiert, die Kraft ihrer Liste als unsichtbaren Rückhalt mitnehmend. Sie würde, so hoffte sie, in der kommenden Woche dahinter stehen können.
Die Sonne stand jetzt höher am Himmel, und das Leben schien in diesen in goldenen Stunden auf eine ruhige Art zu leuchten. Ein Versprechen lag in der Luft, das ihr die Klarheit schenkte, nein zu sagen und ihre Grenzen zu wahren.
Als sie die Küchentür hinter sich schloss, war Sarah deutlich klarer im Kopf als noch vor einer Stunde. Ein neuer Tag, ein neuer Plan. Und damit die Erlaubnis, sich selbst im hektischen Strom der Wochen nicht zu verlieren.




