Die Stimme des Windspiels
An einem lauen Abend, als der Himmel langsam seine orangefarbenen Wolken in tiefes Blau tauchte, stand Mika mit großen Augen auf der Veranda. Die Luft war kühl und erfrischend, doch nicht unangenehm. Ein sanfter Wind streifte das Haar von Mika, das unter den ersten Sternen glänzte.
Mit ihm auf der Veranda saß Oma Rosa, in einen weichen, dicken Schal gehüllt. Der Duft ihrer frisch gebackenen Apfelkekse hing noch in der Luft. Ihre Stimme war warm wie Kakao. „Hörst du es, Mika?“, fragte sie leise und deutete auf das filigrane Windspiel, das unter dem Vordach hing. Es klang wie eine Melodie, die man fast vergessen hatte.
Mika legte den Kopf schief und lauschte angestrengt. Die zarten Töne schienen Geschichten zu flüstern, als der Wind sanft in die Röhren pustete. „Ich glaube, es singt für uns“, meinte Mika mit leuchtenden Augen.
Oma Rosa nickte lächelnd. „Jeder Klang hat eine eigene Geschichte. Manchmal tragen sie Erinnerungen mit sich, weißt du?“
Mika schloss kurz die Augen und stellte sich vor, wie das Windspiel im Sommer unter einem strahlend blauen Himmel, im Herbst inmitten wirbelnder Blätter und an Winterabenden, wenn leichter Frost die Welt glitzern ließ, erklang.
„Kann der Wind wirklich singen?“, fragte Mika dann, seine Stimme strich durch die Stille wie eine Feder.
„Natürlich“, antwortete Oma Rosa. „Der Wind kann alles sein, was du dir wünschst. Er ist ein Freund, zu jeder Jahreszeit. Und manchmal bringt er Trost, wenn man ihn am meisten braucht.“ Sie schaute Mika tief in die Augen, als wollte sie ihm ein Geheimnis verraten.
Mika fühlte sich geborgen, wie in einem unsichtbaren Mantel aus Klang und Stille. Die Töne des Windspiels tanzten weiter durch die Nacht, als würde der Wind ein leises Lied spielen, nur für ihn.
Als sie dort saßen, erzählte Oma Rosa von den Zeiten, als sie selbst noch klein war und das Windspiel anders klang. „Es ist immer derselbe Wind, aber er flüstert andere Geschichten, nicht wahr?“, überlegte Mika laut.
„Das tut er“, bekräftigte Oma Rosa sanft. Ihr Lächeln war ein Hauch von Licht in der Dunkelheit.
Die Sterne funkelten jetzt klar und hell, als würde der Himmel selbst zuhören. Der Abend war still, und doch voller Worte, die weder ausgesprochen noch gehört werden mussten.
Mika kuschelte sich näher an seine Großmutter und spürte die Wärme, die von ihr ausging. Der Klang des Windspiels wurde zu einem sanften Wiegenlied, unter dessen Melodie die Müdigkeit süß herandrängte.
Mit einem letzten Blick zu Oma Rosa und einem Lächeln, das die Gewissheit einer neuen Geschichte im nächsten Abend versprach, hauchte Mika: „Manchmal singt der Wind wirklich nur für uns.“
Ein Lächeln streifte ihr Gesicht, und als die Augenlider schwer wurden, verwehte der Wind sanft all seine Gedanken, bis nur noch die Ruhe blieb, die einhüllte wie eine flauschige Decke.
Und während das Windspiel weiter klang, unter dem Schutzmantel der Nacht, wusste Mika, dass er nie allein träumen würde, solange diese vertraute Melodie sanft durch den Garten glitt.




