Ein Mensch findet Stille und Frieden am Wasser
Vorlesezeit: ca. 20 Minuten
Der Abend war lau, und der Himmel über dem See färbte sich allmählich in zarte Töne von Orange, Rosa und tiefem Violett. Ich saß am Ufer, die Füße leicht in das erfrischende Wasser gehangen, und spürte jede aufkommende Welle sanft gegen meine Zehen schlagen. Die Geräusche der Natur umgaben mich: das leise Rascheln der Blätter, das entfernte Zirpen der Grillen, und ab und zu der Ruf eines Vogels, der irgendwo über den Baumwipfeln im letzten Licht des Tages seine Kreise zog.
Der See war ein Zufluchtsort für mich geworden, ein Platz, wo ich den Lärm der Stadt und die wirbelnden Gedanken meines Alltags hinter mir lassen konnte. Heute hatte ich beschlossen, den Abend hier zu verbringen und die einsetzende Dunkelheit abzuwarten, etwas, das ich mir selten erlaubte.
Nach einer Weile bemerkte ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Ein alter Mann näherte sich langsam, sein Gang gemächlich und bestimmt. In seiner Hand trug er eine Angelrute, und seine Silhouette zeichnete sich gegen das Licht des Sonnenuntergangs markant ab. Es war der alte Fischer, von dem man in der Stadt sprach, ein Mann, der sein kleines Holzboot jeden Morgen durch den Nebel des Sees führte und oft erst bei Nacht zurückkehrte.
Er nickte mir zu und setzte sich unweit von mir ins Gras. Einen Moment lang schwiegen wir beide, nur das Wasser plauderte zwischen uns. Dann begann er zu sprechen, seine Stimme tief und voller Ruhe.
„Ein schöner Abend, nicht wahr? Der Himmel malt heute Meisterwerke“, sagte er, während seine Augen auf dem Horizont ruhten.
Ich antwortete, dass ich gerade deshalb hierhergekommen sei, um die Ruhe und diese Farben zu genießen. Seine Anwesenheit überraschte mich ein wenig, doch seine Ausstrahlung war keineswegs störend, eher gelassen und einladend.
Wir schwiegen eine Weile, jeder in seinen Gedanken versunken. Schließlich begann der alte Fischer wieder zu sprechen. Seine Erzählungen waren einfach, Geschichten über den See, über die Natur und die Veränderungen, die er im Laufe seines Lebens beobachtet hatte. Ich hörte zu, stellte Fragen, und langsam glitt ich in eine meditative Stille, die zwischen Worten wuchs.
„Weißt du“, begann der Fischer, während er einen kleinen Stein ins Wasser warf und die konzentrischen Kreise auf dem See betrachtete, „manchmal ist das Entscheidende nicht, was du sagst oder tust, sondern das, was du nicht sagst. Die Stille kann ein guter Lehrer sein.“
Seine Worte hallten in mir nach. In der Gegenwart dieses Mannes, der so alt wie die Zeit selbst zu sein schien, erkannte ich, wie wichtig es war, Raum für Stille zu schaffen, sowohl um einen selbst, als auch in einem selbst. Der See lag ruhig vor uns, während die Nacht sachte ihre Schleier über das Land zog.
Es war lange nach Sonnenuntergang, als wir uns schließlich erhoben. Der alte Fischer nahm seine Rute, und mit einem letzten Gruß machte er sich auf den Rückweg. Ich blieb noch einen Moment am Ufer stehen, blickte auf das nun im Mondlicht schimmernde Wasser und atmete tief ein.
In dieser Nacht, in der Stille am Seeufer, fand ich nicht nur Frieden, sondern auch einen neuen Weg des Hörens und Verstehens. Ich spürte, dass ich an diesen Ort zurückkehren würde, oft und gerne, nicht nur um der Einsamkeit willen, sondern um dieser stillen Weisheit willen, die der Fischer mir mit auf den Weg gegeben hatte.
Schließlich machte auch ich mich auf den Weg zurück, die Kühle der Nacht um mich, innerlich bereichert und erfüllt von einer neuen, leisen Freude.




