Ein Sommer voller Erinnerungen
Maria saß unter dem alten Apfelbaum, ihr Blick glitt über die vertrauten Schatten, die der Baum auf den hellgrünen Rasen warf. Neben ihr lag eine Decke, auf der verstreut Bücher und ein halb aufgegessenes Sandwich lagen. Es war ein warmer Sommertag, und das Zwitschern der Vögel vermischte sich mit dem leisen Rascheln der blätterbedeckten Zweige.
Ihr Enkel Felix, ein lebhafter Achtjähriger, tollte durch den Garten, jagte einem Schmetterling hinterher und ließ sich schließlich mit einem erschöpften Seufzen neben Maria nieder. “Oma, erzähl mir die Geschichte von dem Sommer, als du ein kleines Mädchen warst.”
Maria lächelte. “Das ist schon so lange her, mein lieber Felix,” begann sie mit sanfter Stimme, während die Erinnerung langsam Gestalt annahm.
“Es war auch ein solcher Sommertag,” erzählte sie. “Der Duft von frisch gemähtem Gras lag in der Luft und ich war gerade so alt wie du jetzt, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Mein bester Freund war Jakob, unser Nachbarsjunge. Damals war der Apfelbaum noch klein, aber wir kletterten trotzdem hinauf, um die noch unreifen Äpfel zu pflücken.”
“Und dann?” Felix stützte sein Kinn auf seine kleinen Hände, seine Augen groß und neugierig.
“An einem Nachmittag kam ein Sturm auf, völlig unerwartet,” fuhr Maria fort. “Die Erwachsenen sammelten schnell die Wäsche von den Leinen, aber wir, Jakob und ich, blieben draußen, um den Wind zu genießen. Wir verbargen uns unter den Ästen des Apfelbaums, und als der Regen einsetzte, hielten wir die Blätter über unsere Köpfe wie kleine Regenschirme.”
Felix kicherte. “Ich kann mir das kaum vorstellen, dass du das einfach gemacht hast!”
Maria schmunzelte. “Oh, wir waren richtig kleine Abenteurer. Doch der Sturm zog bald vorbei, und als die Sonne wieder die Wolken durchbrach, sahen wir, wie der Regen ein Farbenmeer um unseren Apfelbaum geschaffen hatte.”
Felix blickte nachdenklich zum Himmel. “Erzähl mir von Jakob. Gibt es ihn immer noch?”
An dieser Stelle verstummte Maria für einen Moment. Ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit, an den Tag, als Jakob ihr sagte, dass er das Dorf verlassen würde. “Jakob zog vor einigen Jahren weg. Wir haben uns oft Briefe geschrieben, und obwohl er jetzt am anderen Ende der Welt lebt, sind die Erinnerungen an jene nachmittäglichen Abenteuer so lebendig wie eh und je.”
Ein Rascheln in den Sträuchern am Rande des Gartens ließ Felix aufhorchen. “Was war das, Oma?”
Maria blickte auf und sah Jakob, der bei seinem letzten Besuch eine alte Gartenbank repariert hatte. Seitdem stand sie unbenutzt am Rand des Gartens, überwuchert von wilden Johannisbeersträuchern. “Manchmal sind die schönsten Erinnerungen die größten Schätze, die wir haben. Sie bleiben, auch wenn alles andere vergeht.”
Langsam begann die Sonne zu sinken, und das zauberhafte Abendlicht legte sich warm über den Garten. Felix sprang auf, um weitere Abenteuer zu erleben, während Maria einen Moment länger sitzen blieb, in der Umarmung ihrer Erinnerungen. Der Sommer war da, das Leben pulsierte und verbarg all die kleinen, wertvollen Momente im Schatten des alten Apfelbaums.
Und so saß Maria noch lange dort, während der Garten in goldenes Licht getaucht war, und sie erlaubte sich, mit einem leisen Lächeln in vergangenen Zeiten zu verweilen.




