Emil und die flüsternden Bücher
Vorlesezeit: ca. 12 Minuten
In einer kalten Winternacht, als der Schnee die Welt in eine sanfte Decke hüllte, lag Emil wach in seinem Bett. Der Mond schien durch das Fenster und tauchte alles in ein kühles silbriges Licht. Ihm war, als könnte er die Bücher in der Bibliothek unten im Dorf flüstern hören.
Leise erhob er sich, schlich sich in seinen Wintermantel und schlüpfte durch die Hintertür hinaus in die klare Nacht. Der knirschende Schnee unter seinen Füßen war das einzige Geräusch, das die stille Welt durchbrach.
Die Bibliothek war groß und alt, mit hohen Fensterbögen, die im Mondlicht glänzten. Emil zog einen Schlüssel hervor, den ihm die Bibliothekarin anvertraut hatte, da er oft beim Einräumen der Bücher half. Als er die schwere Holztür aufdrückte, umfing ihn der vertraute Duft von Papier und Leder.
Im Inneren war alles still und geheimnisvoll. Seine Schritte hallten leise von den Wänden wider. Die Bücherregale schienen lebendig, fast als ob sie ihn willkommen hießen. Plötzlich erkannte Emil, dass er nicht allein war. Ein sanftes Glühen ließ die Gestalt einer zarten Buchfee erscheinen.
“Emil”, flüsterte die Fee Faya mit einer Stimme, die an den Klang von Glockenspiel erinnerte, “die Bücher haben dir eine Geschichte zu erzählen.”
Emils Augen leuchteten vor Neugier. “Welche Geschichte ist das?” fragte er gespannt.
“Eine über mutige Entdecker, verschollene Schätze und ferne Länder”, antwortete sie und winkte ihn näher an die Regale.
Gerade als Emil seiner Neugier folgte, sprang der schwarze Kater Nero vom Fensterbrett und strich ihm um die Beine. Seine bernsteinfarbenen Augen glitzerten im Abendschein. “Na, wenn das nicht ein Abenteuer zu später Stunde ist”, schnurrte Nero mit amüsiertem Unterton.
Gemeinsam mit Faya und Nero wanderte Emil durch die Regale. Die Bücher flüsterten leise und erzählten von funkelnden Sternen und den Meeren, die sie überdeckten. Ganze Welten breiteten sich in Emils Vorstellungskraft aus.
Plötzlich hielten sie vor einem alten, staubigen Buch. Faya öffnete es und eine warme Brise ließ Emils Nasenspitze kribbeln. “Dieses Buch”, sagte Faya, “wird dir alles zeigen, was deine Neugier je anregen könnte.”
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, begann das Buch zu leuchten, und Emil fühlte sich, als würde er in eine andere Welt gesogen. Er sah die Sterne am Himmel tanzen und hörte den Ruf einer alten Galeere von einem anderen Ufer herüberschallen.
Doch bald spürte Emil die Müdigkeit, die seine Glieder schwer machte. “Zeit, nach Hause zu gehen, kleines Abenteuer”, miaute Nero und streckte sich.
Faya begleitete Emil zur Tür und flüsterte: “Wann immer du eine neue Reise antreten möchtest, sind die Bücher bereit, dich wieder willkommen zu heißen.”
Draußen im Schnee machte sich Emil auf den Heimweg. Der Mond beobachtete ihn von oben und lächelte still. Emil wusste, dass er bald zurückkehren würde, um neue Welten zu entdecken.
Als er schließlich wieder in seinem warmen Bett lag, fühlte er sich geborgen und voller Vorfreude auf all die Abenteuer, die noch auf ihn warteten. Er schloss die Augen und träumte von flüsternden Büchern und weit entfernten Landen. Eine sanfte Zufriedenheit hüllte ihn ein, wie die warme Decke ihn vor der Kälte der Welt schützte.
Und in dieser Nacht schlief Emil mit einem Lächeln ein, denn er wusste, dass das nächste Abenteuer nur eine Buchseite entfernt lag.




