Fahrstuhl bis zum Mond
Die Hotellobby war in ein weiches Golden getaucht, als Nora eintrat. Die plüschigen Sessel tunkten in die Ruhe eines Abends, der den Anbruch einer verregneten Nacht versprach. Sie zog die feuchten Ränder ihres Mantels enger um die Schultern. Der Regen trommelte leise gegen die Fenster und hinterließ einen perlenden Schleier auf dem glatten Marmorfußboden.
Milan stand an der Rezeption und starrte in die Auflistung der heutigen Ankünfte, während er mit dem Kugelschreiber ungeduldig auf der Liste tippte. Genauso wie Nora war er hier gestrandet – ein geplanter Zwischenstopp, der ungeplant länger dauerte.
„Entschuldigung“, sagte Nora, als sie vorsichtig neben ihm Platz nahm. Die Aufzüge lagen zur Rechten, ein silberner Monolith, glänzend wie der Mond in einer klaren Nacht. Milan bemerkte sie erst, als sie direkt neben ihm den Kopf in seine Richtung neigte.
„Oh, hallo“, sagte er, ein Lächeln auf den Lippen, als genieße er die unerwartete Gesellschaft.
Die schweren Türen des Fahrstuhls glitten lautlos auf. Sie traten gemeinsam hinein, ihre Blicke kurz aufeinander gerichtet, von der Neugier, die zwischen Fremden oft aufblitzt.
Während der Fahrstuhl seine Fahrt nach oben begann, eilte ihre Unterhaltung mit ihm empor. Sie sprachen über die kleinen Dinge – das Hotel, den Regen, die Aussicht von der Dachterrasse, die angeblich spektakulär sei, wenn die Wolken sich verzogen.
„Einmal um die Welt und zurück“, scherzte Milan über den langsamen Fahrstuhl.
„Oder gleich bis zum Mond“, ergänzte Nora lachend, ihre Stimme ein sanftes Echo in der engen Kabine. Ihre Worte hallten nach, als würde der Fahrstuhl sie für den nächsten Halt aufsparen.
Die Dachterrasse war überraschend groß und doch intim. Der Blick, der sich ihnen dort oben eröffnete, war erstaunlich klar. Die Regenwolken hatten sich verzogen und machten einem Himmel Platz, dessen Sterne funkelten wie verstreut leuchtender Diamantstaub.
Nora lehnte sich ans Geländer, der kalte Wind strich durch ihr Haar. Milan gesellte sich zu ihr, und für einen Augenblick war alles nur ein Schweigen, das zugleich voller Möglichkeiten war. Das Murmeln der Stadt unten war kaum hörbar, wie das Rauschen des Meeres aus weiter Ferne.
„Es ist fast so, als könnte man nach den Sternen greifen“, sagte er leise, seine Augen das Firmament scannend, als hoffe er dort etwas zu entdecken, was seine verlorengegangenen Träume sammeln könnte.
„Vielleicht reicht ja der Fahrstuhl bis dahin“, antwortete Nora mit einem leisen Lächeln.
Das Gespräch zwischen ihnen entwickelte eine Leichtigkeit, die ein Klima intimer Vertrautheit aufbrachte. Geschichten aus ihrem Leben entfalteten sich langsam, wie die ersten Blüten im Frühling.
Die Zeit verging unmerklich, und als die kalte Brise erneut über die Terrasse fegte, war es Milan, der Nora sanft fragte, ob sie den Rückweg antreten sollten.
„Ich glaube, der Lift fährt doch nicht bis zum Mond“, scherzte er beim Abstieg, diesmal von ernsthaftem Humor begleitet.
Zurück in der Lobby zögerten beide einen Moment, als wären sie noch nicht bereit, die Blase des flüchtigen Abends platzen zu lassen.
Es war Milan, der schließlich ein Stück Papier und einen Stift fand, um seine Nummer darauf zu kritzeln. Ihr Austausch war fast wie ein unausgesprochener Pakt – eine Möglichkeit, die über die warme Einladung eines flüchtigen Lächelns hinausging.
Und so trennten sich ihre Wege, und zusammen mit dem heiteren Lächeln, das sie austauschten, blieb da die Ahnung, dass manche Fahrten nicht an physischen Orten endeten.
Vielleicht trug der Lift weiter, als sie es an diesem Abend erwartet hatten.




