Stille auf dem Balkon
Jon lehnte sich im Liegestuhl zurück, die Tasse Tee wärmte seine Hände. Der Balkon war klein, gerade groß genug für ihn und ein paar Pflanzen, doch in den letzten Monaten hatte er ihn mehr und mehr als seinen Rückzugsort entdeckt. Die Luft war kühl, trug den Duft von Regen in sich, der das Steingeländer unter dem Streulicht der Stadt feucht glitzern ließ.
Ringsumher flossen die Lichter der Stadt ruhig vor sich hin, als würden auch sie einen Moment der Stille suchen. Jons Blick schweifte über die Dächer, die in der Dunkelheit beinahe wie Silhouetten wirkten. Er lauschte dem entfernten Rauschen der Straßen, ein monotones Flüstern, das ihm inzwischen vertraut war.
Zu jeder Jahreszeit lernte Jon, die unterschiedlichen Facetten dieser Szenerie zu schätzen. Im Frühling besuchte ihn das Vogelgezwitscher, das er zwischen den knospenden Blättern hörte. Im Sommer ging die Sonne erst spät unter, tauchte die Wolken in einen goldenen Schein, während die Stadt sich hieß auf die Nacht vorbereitete. Herbst und Winter brachten andere Geräusche: das Rascheln von Blättern, das erste Knirschen von Schnee unter den Schritten der Spaziergänger auf der Straße.
Er nahm einen Schluck Tee und schloss die Augen. Es war sein Ritual geworden, abends hier zu sitzen, die Wärme des Getränks zu spüren und die Gedanken ziehen zu lassen. Manchmal stellte er sich vor, wie die Gedanken sich wie Wolken am Horizont auflösten und eben dieses Gefühl der Ruhe mit sich brachten.
Ein leises Klingeln, der Wind hatte eines der Klangspiele berührt. Es war unaufdringlich, ja beinahe zärtlich. Jon öffnete die Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Er fühlte sich geerdet, dort auf seinem Balkon, der für ihn wie eine schwebende Insel der Ruhe war, zwischen Himmel und Erde.
Die Entscheidung, allabendlich die Stille zu suchen, hatte ihm in der Hektik des Alltags neuen Frieden gebracht. Es war eine Entscheidung, die ihm half, im Chaos der Welt seine Mitte zu behalten. In der Stille konnte er die Präsenz des Augenblicks wirklich fühlen und die einfachen Dinge schätzen.
Der Tee wurde langsam kalt in seinen Händen, und die Geräusche der Stadt verklangen in der Ferne. Zufriedenheit breitete sich in ihm aus, ein schwereloses Gefühl, losgelöst von Zeit und Raum. Es war ein Frieden, der nicht von der Abwesenheit von Lärm herrührte, sondern aus der Akzeptanz der Unvollkommenheiten des Lebens.
Stille, dachte Jon, ist eine Entscheidung, die man bewusst trifft. Eine, die er für nichts in der Welt tauschen wollte.




