Überstunden im Abendrot
Die Uhr tickte leise im Hintergrund, das einzige Geräusch, das die Stille des verlassenen Büros durchbrach. Mara saß still an ihrem Schreibtisch, das schwache Licht ihres Bildschirms umgab ihr Gesicht mit einem fahlen Glanz. Sie war allein in der kühlen Herbstnacht, die durch die großen Fenster hereintrat.
Draußen war die Sonne fast vollständig untergegangen, der Himmel färbte sich in einem tiefroten Abendrot, das die Welt in einen warmen Schimmer hüllte. Es war einer dieser stillen Augenblicke, in denen die Zeit stehenzubleiben schien.
“Bist du noch da, Mara?” Die Stimme kam von Yasin, der unerwartet in der Tür stand. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, unsicher, aber warm. Mara blickte auf und lächelte zurück, überrascht, nicht die Letzte im Büro zu sein.
“Ja, ich versuche noch einen Bericht zu beenden”, antwortete sie und strich eine Haarsträhne von ihrem Gesicht. “Und du?”
Yasin trat näher und setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches. “Ich konnte mich nicht dazu durchringen, nach Hause zu gehen. Manchmal ist es einfacher, wenn man einfach bleibt, bis alles wartet, dass man geht.”
Gemeinsam blickten sie aus dem Fenster auf den Abendhimmel. Der rote Schein strich über ihre Gesichter und schuf einen Moment der Ruhe, als ob die Welt nur für sie beide da wäre.
“Weißt du,” begann Mara nach einem Moment der Stille, “manchmal frage ich mich, was wir verpassen, wenn wir so viel Zeit hier drinnen verbringen.”
Yasin nickte. “Du hast recht. Vielleicht ist heute Abend der richtige Zeitpunkt, etwas anderes zu erleben.”
Eine wilde, kurze Entscheidung führte sie hinaus auf das kühle Parkdeck des Gebäudes. Die Herbstluft war scharf und klar, und der Wind spielte mit den Blättern, die spiralförmig zu Boden fielen.
Sie standen Seite an Seite, ihre Hände fast berührend, als sie über die Stadt hinwegschauten. Das Abendrot spiegelte sich in den Fenstern der umliegenden Gebäude und schuf eine Aura aus Lichtpunkt und Schatten, die um sie tanzte.
“Es fühlt sich friedlich an, nicht wahr? Weg von allem”, sagte Yasin leise.
Mara nickte, ihre Augen folgten den Lichtspuren der Autos weit unter ihnen. “Sehr friedlich. Es ist faszinierend, wie etwas so Einfaches wie der Himmel uns daran erinnern kann, dass es mehr gibt als das, was direkt vor uns liegt.”
Yasin drehte sich zu ihr und sprach nicht weiter. Sein Blick hielt einen Moment den ihren fest, bevor er wieder in die Ferne glitt. Die ungesagten Worte hingen in der Luft, während die Stille sie wieder verschlang.
In diesem Moment, inmitten der Kürbistöne des Himmels und der kühlen Glätte des Betonbodens unter ihren Füßen, entstand etwas Neues. Eine zarte Nähe, die aus mehr bestand als den alltäglichen Begegnungen im Büro.
“Lass uns wieder hineingehen”, schlug Mara schließlich vor und seufzte leise. “Der Herbst wird kälter.”
Sie drehten sich um, doch in ihrem Inneren blieb der Schein des Abendrots, der ihr gemeinsames Geheimnis bewahrte. Die Nacht würde hereinbrechen und mit ihr würde das Herzklopfen der Großstadt wieder einsetzen, aber Mara wusste, dass sich etwas verändert hatte.
Ohne ein weiteres Wort betraten sie das Gebäude, versunken in ihre Gedanken. Der Gang, den sie entlanggingen, schien länger als zuvor und jeder Schritt hallte leise in der Stille wider.
Mara wusste, dass diese Momente flüchtig waren, aber sie hielt sie fest in ihrem Herzen, eine Erinnerung für die Tage, an denen der Alltag sie wieder einholen würde.




