Wie das Rascheln des Waldes heilt
Vorlesezeit: ca. 10 Minuten
Die Sonne stand schon tief am Himmel, als Theresa den schmalen Pfad betrat, der sie tiefer in den Wald führte. Es war ein Spätsommertag, an dem die Hitze des Tages langsam einer angenehmen Kühle wich. Theresa atmete tief ein, den erdigen Duft der Blätter und des Holzes in ihre Lungen aufnehmend. Neben ihr schritt David, still, aber zuversichtlich. Ihr Hund Tom lief vor ihnen her, schnupperte abwechselnd an den Büschen und zuckte ab und zu mit den Ohren, bei Geräuschen, die nur er hören konnte.
Der Wald wirkte wie ein lebendiges Wesen, jedes Blatt ein Ohr, jeder Ast ein Finger. Theresa spürte ein leises Kribbeln in ihrem Herzen, das sich beim Gehen ausbreitete. Der Tag war nicht leicht gewesen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Doch hier, im Schatten der Bäume, fanden sie langsam ihren Platz.
David schien ihre Stille zu respektieren, und auch er war in sich gekehrt. Er hatte Theresa von diesem Ort erzählt, erinnerte sich an Kindertage, als solche Ausflüge alltäglich waren. Seine Eltern hatten ihn oft hierhergebracht, um die Seele zu beruhigen, wie sie sagten. „Der Wald hat eine heilende Kraft“, pflegte sein Vater zu betonen. Heute verstand er, was damit gemeint war.
„Es ist fast so, als könnten sich die Bäume unsere Sorgen anhören und sie in ihrem Rascheln auflösen“, sagte Theresa plötzlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
David nickte, die Augen auf den schmalen Pfad gerichtet. „Ja, als könnten sie uns etwas zurückgeben, das wir verloren haben.“
Theresa blieb stehen und lauschte. Das Rascheln der Blätter war wie eine zarte Melodie, die sich durch die Luft wand. In jedem Windstoß lag eine neue Nachricht, eine sanfte Erinnerung an die Einfachheit des Seins. Sie konnte spüren, wie die Schwere sich allmählich auflöste, wenig Platz lassend für Traurigkeit.
Tom kam zu ihr zurückgetrabt, seine braunen Augen klar und funkelnd. Er war der geduldigste Zuhörer, den sie sich wünschen konnte, dachte sie, während sie ihm das Fell kraulte. David trat neben sie, seine Wärme unverkennbar. Ohne nachzudenken, legte sie den Kopf an seine Schulter.
Eine Weile standen sie so da, in der Umarmung der Natur und der Stille, die wie ein schützender Schleier über ihnen lag. Gedanken wurden zu leisen Wünschen, Wünschen, dass diese Momente endlos wären.
„Vielleicht sollten wir öfter hierherkommen“, sagte Theresa leise, als könnte eine lautere Stimme die zarte Magie vertreiben.
David lächelte, seine Augen weich. „Das sollten wir. Es tut uns beiden gut, glaube ich.“ Er schaute sie an, und in diesem Moment wusste sie, dass es stimmte. Der Wald wäre immer da, um sie zurückzuempfangen, wann immer sie es brauchte.
Der Rückweg wirkte auf seltsam beruhigende Weise vertraut, als wären sie nicht nur in die Tiefen des Waldes, sondern auch in die ihrer selbst gewandert. Der Spätsommer zeigte sich in den goldenen Farbtönen, die durch die Bäume tanzten, beleuchteten die weichen Konturen der Stille um sie.
In den letzten Strahlen der dahinschwindenden Sonne verabschiedeten sie sich leise, das Rascheln des Waldes noch in ihren Ohren. Theresa wusste, dass sie jederzeit zurückkehren konnte. Doch heute reichte das Wissen aus, dass der Wald da war – immer bereit zu heilen, immer bereit zu hören.




