Wie Nele Licht in die Nacht brachte
Es war ein kühler Herbstabend, als sich die Sonne langsam hinter den sanften Hügeln versteckte. Die Luft war erfüllt von dem süßen Duft fallender Blätter, die rasselnd im sanften Wind tanzten. Nele stand am Fuß des Hügels und blickte hinauf zum schon dunkler werdenden Himmel. Neben ihr hüpfte ein kleiner Rabe, sein Gefieder glänzte pechschwarz wie die Nacht. “Es wird bald dunkel, Taro”, sagte Nele leise, ihre Stimme von einer Vorfreude erfüllt, die nur besondere Abende mit sich brachten.
“Dunkel ist nichts Schlechtes”, krächzte Taro und setzte sich auf einen großen, gelb leuchtenden Kürbis, der am Wegesrand lag. “Aber ein kleines Licht kann Wunder wirken.”
Die beiden machten sich auf den Weg den Hügel hinauf, ihre Schritte knirschten auf den herbstlichen Blättern. Jeder Atemzug brachte einen leichten Nebel vor Neles Gesicht, und der kühle Wind spielte in ihrem Haar. Taro flatterte immer wieder aufgeregt zwischen den Bäumen umher, als wolle er jeden Winkel dieses kleinen Hügelwaldes erkunden.
Am Gipfel angekommen, breitete sich vor ihnen der gewaltige, sternenbesetzte Himmel aus, unter dem die Welt kleiner und die Gedanken größer zu werden schienen. Doch ohne Zögern griff Nele in ihre Tasche und zog eine zierliche Laterne hervor, die sie behutsam öffnete. Aus ihrem magischen Inneren zog sie vorsichtig ein Stück leuchtende Baumwolle, die jeden Zuschauer an sanfte Wolken erinnerte.
“Was ist das?” fragte Taro neugierig, seinen Kopf seitwärts geneigt, während seine scharfen Augen leuchteten.
“Eine Wolkenlaterne”, flüsterte Nele geheimnisvoll, während sie das zarte Stück an dem kleinen Laternenhaken befestigte. “Mama Elsa hat sie mit den ersten Herbststürmen gewoben. Sie fängt das Licht des Tages ein und schenkt es der Nacht zurück.”
Die Laterne begann in einem warmen Schein zu leuchten, der die Dunkelheit ringsum sanft vertrieb. Der Wind schien die leichte Struktur tragen zu wollen, und der zarte Duft, der von ihr ausging, erinnerte an Sommerwiesen und Regenbögen nach einem frischen Schauer.
Zusammen sahen Nele und Taro zu, wie die Wolkenlaterne in den Himmel emporstieg, höher und höher von den sternenbesetzten Azuren verschluckt, als wolle sie ein Stück des Himmels selbst erhellen. Nele fühlte sich leicht und frei, während ihr Herz mit Wärme und Licht gefüllt war.
“Sieh nur, wie sie strahlt!”, rief Nele übermütig und begann zu tanzen. Taro schloss sich mit flatternden Flügeln an, sein Krächzen vermischte sich mit dem leisen Rauschen der Bäume.
Von weitem konnte man sehen, wie Mama Elsa am Fenster stand und lächelte, als die kleine Laterne einen sanften hellen Punkt über dem Hügel bildete. Ihr Herz erfüllte sich mit der Sicherheit, dass Nele und Taro das Geschenk des Lichts weitergeben würden.
Als die Nacht vollends hereingebrochen war, und nur noch das ferne Licht der Wolkenlaterne sie begleitete, kehrten Nele und Taro gemessenen Schrittes den Hügel hinab. Es gab keine Eile; die Welt drehte sich sanft in ihrem eigenen Rhythmus.
Die Dunkelheit war nun um sie her, aber die Jubiläumslichter der Laterne tanzten in ihrem Inneren weiter. “Ein Licht reicht, um die Nacht zu teilen”, sagte Nele leise, während Taro sich fest auf ihrer Schulter niederließ, seine Augen halb geschlossen und voller Vertrauen.
Zurück zu Hause fand Nele ihre Mama Elsa in der Küche vor, wo ein warmes Feuer im Ofen brannte und die Luft mit frisch gebackenem Brotduft erfüllte. “Du hast das Licht so schön geteilt”, flüsterte Elsa, als sie Nele in die Arme nahm.
Nele lächelte schläfrig, als sie die wärmende Umarmung fühlte. “Jeder sollte ein kleines Licht haben”, meinte sie verträumt, als ihre Augen langsam zufielen. Einen Moment später war nichts mehr zu hören als das sanfte Knistern des Feuers, und die Nacht bedeckte sanft die kleine Welt.




