Zwei Fremde, ein Augenblick
Ein dichter Nebelschleier lag über der Stadt, als Mara frühmorgens das Haus verließ. Die Luft war kühl und feucht, der Dunst verschluckte die Geräusche des erwachenden Tages, ließ die Welt um sie herum verschwinden. Nur die sanfte Melodie ihrer Schritte auf dem Kopfsteinpflaster war zu hören.
Die Brücke, die sie jeden Morgen überquerte, um zur Arbeit zu gelangen, wirkte an diesem Tag noch mehr wie ein geheimnisvoller Übergang in eine andere Welt. Die Laternen warfen verschwommene Schimmer auf den getränkten Asphalt, der Fluss unter ihr war ebenso unsichtbar wie die andere Seite.
Jonas war zu spät aufgestanden. Die unruhigen Nächte hatten sich in seinem Körper festgesetzt, und nun trottete er ohne Frühstück und mit brennenden Augen zur Brücke. Auch er fühlte sich, als wäre diese Zeit im Nebel ein Traum, ein flüchtiges Dazwischen vor der Hektik des Alltags.
Am höchsten Punkt der Brücke blieben ihre Schritte plötzlich im Einklang stehen. Mara und Jonas sahen sich an, von einem unerklärlichen Wissen angezogen, dass dieser Augenblick eine Bedeutung hatte, die sie noch nicht verstehen konnten.
„Entschuldigung“, murmelte Jonas, als er schließlich bemerkte, dass er den Weg blockierte. Doch Mara lächelte nur sanft. „Kein Problem“, antwortete sie, ihre Stimme weich wie der Nebel selbst.
Für einen Moment stand die Zeit still. Der Dunst wirbelte in leisen Spiralen um sie herum, und der Rest der Welt zog sich zurück, als wäre nur diese kleine Insel auf der Brücke real. Ihre Augen begegneten sich erneut, und irgendetwas Unausgesprochenes, eine flüchtige Vertrautheit, glomm zwischen ihnen auf.
Doch dann bewegte sich die Welt weiter, wie sie es immer tut. Jonas nickte, als Zeichen, dass er weitergehen würde, und Mara tat dasselbe. Sie setzten ihren Weg fort, jeder in seinem eigenen Takt, in seinem eigenen Leben.
Doch der Augenblick auf der Brücke ließ sich nicht so leicht abschütteln. Beide drehten sich noch einmal um, blickten durch den Nebel zurück und fühlten eine seltsame Gewissheit, dass dies nicht das Ende war. Und vielleicht, dachten sie, würde es zu einem anderen Zeitraum, in einer anderen Dichte des Nebels, erneut eine Begegnung geben.
Frau Stein, eine ältere Dame, die den Fluss beobachtete, während sie auf ihren Morgenkaffee im angrenzenden Café wartete, hatte die beiden bemerkt. Wie jeden Tag stand sie am Brückengeländer, den Anblick genießend, den der Nebel auf ihre Erinnerungen malte. „Alles Gute kommt zu denen, die warten können“, murmelte sie leise zu sich selbst und wandte sich mit einem wissenden Lächeln ab. Der Nebel umhüllte alles, hüllte Geheimnisse ein und schützte Wünsche.
Die Brücke war wieder leer, doch die Erinnerung an den Augenblick war tief, anhaltend wie das träge Rauschen des unsichtbaren Flusses darunter.




